Iran: Auf dem Weg zu einer klerikalen Militärdiktatur

Nr. 44 –

Die Sanktionen des Westens, Misswirtschaft und Korruption haben den Iran in eine schwere Krise gestürzt. Die Regierung von Mahmud Ahmadinedschad wankt – und die Revolutionsgarde ist mächtiger denn je.

Aussenpolitisch ist die Islamische Republik Iran zu einer regionalen Grossmacht geworden. Doch das äussere Bild steht im krassen Widerspruch zur innenpolitischen Lage. Das Land befindet sich in einer beängstigenden Wirtschaftskrise; erbitterte Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Lagern, Korruption, persönliche Rivalitäten und die weitverbreitete Unzufriedenheit in der Bevölkerung unterhöhlen die Staatsmacht.

Ein Grund für die wirtschaftliche Misere sind die verschärften Sanktionen. Insbesondere der Boykott iranischen Öls durch die EU seit dem 1. Juli sowie der praktische Ausschluss von den internationalen Finanzmärkten haben der iranischen Wirtschaft schweren Schaden zugefügt. Der Staatshaushalt ist zu zwei Dritteln von Einnahmen aus dem Ölexport abhängig, die in den vergangenen Monaten erheblich gesunken sind. Selbst die Regierung, die bislang die negative Wirkung von Sanktionen leugnete, musste einräumen, dass die Haushaltslage angespannt ist: «Wir stehen unter Druck, was den Haushalt angeht», sagte Präsident Mahmud Ahmadinedschad am 9. Oktober gegenüber der iranischen Nachrichtenagentur Isna.

Geheimer Krieg

Die Sanktionen haben zu einem Einbruch der Landeswährung geführt. Sie ist binnen zehn Tagen um ein Drittel abgesackt, in den letzten fünfzehn Monaten sogar um zwei Drittel. Alle Versuche der Regierung, den Wechselkurs zu stabilisieren, sind bislang fehlgeschlagen. «Der Westen hat dem Iran Sanktionen auferlegt und faktisch einen geheimen Krieg gegen unser Volk begonnen», sagte Ahmadinedschad. «Die Sanktionen haben einige unserer Ölausfuhren und somit unsere Einnahmen getroffen.»

Die Regierung versucht, durch die Einschränkung von Importen die Abhängigkeit von westlichen Märkten zu verringern. Zu einem subventionierten Dollarkurs dürfen nur noch Basisgüter gekauft werden. Die Devisen für den Kauf aller anderen Produkte müssen zu einem höheren Kurs auf dem freien Markt erworben werden. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, den Gebrauch von Luxusgütern einzuschränken und vermehrt auf nationale Hersteller zurückzugreifen. IranerInnen geben jährlich zehn bis zwanzig Milliarden US-Dollar für importierte Luxusgüter aus.

Doch die Sanktionen sind an der Wirtschaftskrise nicht allein schuld. Misswirtschaft und Korruption haben einen erheblichen Teil zur Katastrophe beigetragen. Die Probleme entstanden dadurch, dass Ahmadinedschad nach der Regierungsübernahme im Juli 2005 nahezu sämtliche Schlüsselpositionen mit eigenen Anhängern besetzt und erfahrene Sachverständige aus der Verwaltung verjagt hatte. Die neuen Verantwortlichen, die zumeist der Revolutionsgarde entstammten, hatten weder von Wirtschaft noch von Verwaltung eine Ahnung; ihre Entscheidungen richteten sich nach dem eigenen Vorteil und demjenigen ihrer Klientel.

Revolutionsführer Ali Chamenei hat den Präsidenten bisher in Schutz genommen, weil er sich dessen Loyalität sicher war. Er nahm sogar einen eklatanten Wahlbetrug bei der Präsidentschaftswahl 2009 in Kauf. Doch Ahmadinedschad, der in seiner ersten Amtszeit eine Hausmacht aufgebaut hatte, wurde nach seiner Wiederwahl immer aufmüpfiger. Er hatte offenbar festgestellt, dass die bislang propagierte Ideologie, der politisierte islamische Fundamentalismus, nicht mehr ausreicht, um das Volk bei der Stange zu halten, und die Staatsführung sich nur noch mit Gewalt an der Macht hält.

Schritt für Schritt begann der Präsident, der bislang als ultrarechter Politiker galt, sich als «liberalen», modernen Staatsmann zu präsentieren. Er nahm sichtbaren Abstand vom Klerus und sprach von einem «iranischen Islam», der durch die Verschmelzung mit der altiranischen Kultur weit höher gestellt sei als der arabische. Er kritisierte die Sittenpolizei wegen zu häufiger Strassenkontrollen, trat für die Zulassung von Frauen in Fussballstadien ein und sprach sich gegen die Geschlechtertrennung an den Universitäten aus. Vor einigen Wochen warf er der mächtigen Revolutionsgarde vor, sich in politische Angelegenheiten einzumischen und mit der Verbreitung falscher Nachrichten für Turbulenzen auf dem Markt gesorgt zu haben.

Rote Linie überschritten

Damit nicht genug. Kürzlich griff Ahmadinedschad sogar die Verantwortlichen von Moscheen und Religionshochschulen an und forderte sie auf, Rechenschaft über die Unsummen abzulegen, die sie Jahr für Jahr erhalten. Der Präsident scheute sich nicht einmal davor, eine rote Linie der Islamischen Republik zu überschreiten: Während seiner Teilnahme an der Uno-Vollversammlung in New York signalisierte er in mehreren Interviews die Bereitschaft des Iran zu direkten Verhandlungen mit den USA – womit er sich im Inland heftiger Kritik aussetzte. Die Entscheidung über derartige Fragen liege ausschliesslich beim Revolutionsführer, hiess es.

Ahmadinedschad versucht mit dieser Haltung, bei den Liberalen und Nationalisten Stimmen für die Präsidentschaftswahl im nächsten Juni zu sammeln. Nach achtjähriger Amtszeit kann er zwar nicht wiedergewählt werden, doch könnte ihm gemäss Kritikern ein «Modell Putin-Medwedew» vorschweben: Er könnte einen seiner Getreuen wählen lassen, um nach vier Jahren das Amt wieder zu übernehmen.

Aus Sicht der Konservativen hat der Präsident einen Scherbenhaufen angerichtet und sollte so rasch wie möglich abgesetzt werden. Chamenei hat das bislang verhindert, weil er nicht als Verlierer dastehen möchte.

Aber es geht nicht nur um Ahmadinedschad. Die Basis der Islamischen Republik, die einst über neunzig Prozent der Bevölkerung umfasste, ist inzwischen drastisch geschrumpft. Die Spaltungen im islamischen Lager haben das Regime in eine Diktatur verwandelt, die sich vorwiegend auf die noch intakte Revolutionsgarde stützt. Je mehr der Klerus seine Basis verliert, desto abhängiger wird Chamenei von der Revolutionsgarde, die die eigentliche Macht darstellt. Formal ist der Revolutionsführer ein mit nahezu unbegrenzten Machtbefugnissen ausgestatteter Alleinherrscher. Aber in Wirklichkeit ist er – vor allem nach dem Debakel mit Ahmadinedschad – nur noch eine Marionette in der Hand der Revolutionsgarde.

Falls sich keine andere Alternative zum herrschenden Regime herausbildet, könnte die Revolutionsgarde auch offiziell die Macht übernehmen und eine klerikale Militärdiktatur einrichten.

Der Staat im Staat

Die Revolutionsgarde wurde nach der Islamischen Revolution 1979 als Parallelorganisation zur regulären Armee gegründet und entwickelte sich im iranisch-irakischen Krieg (1980–1988) zu einer wichtigen Stütze des Regimes.

Inzwischen ist die Revolutionsgarde zur mächtigsten Kraft des Landes geworden – militärisch, aber auch politisch und ökonomisch. Praktisch keine wichtige Entscheidung kann ohne ihre Zustimmung erfolgen. Sie bekommt die lukrativsten Staatsaufträge, ist an Öl- und Gasgeschäften beteiligt und kontrolliert die Grenzen. Damit beherrscht sie auch den Schwarzmarkt, der eine ähnlich grosse Rolle spielt wie der reguläre Markt.