Miles Davis: Sketches of Spain
Beim sonntäglichen Stadtspaziergang am See begegnen uns zwischen dem Bellevue und dem «Frascati» etwa fünf verschiedene Bands und SolistInnen. Eine Gruppe aus Weissrussland wird grosszügig mit einem Geldschein beschenkt. Landsleute der beiden Musiker, die unverhofft am See flanieren, zeigen sich spendabel. Die Freude auf beiden Seiten ist gross.
Kaum hat man sich aus dem Hörraum einer Band entfernt, tut sich schon der nächste auf: Jemand spielt Bach auf einer grossen Marimba, eine Band vom Schwarzen Meer mäandert mit Klarinette und Akkordeon durch die schmissige Musik des Balkans. Einer, in eine wärmende Jacke gehüllt und mit Wollmütze auf dem Kopf, zupft sanft die Gitarre. Er spielt den «Libertango» und «Chiquilín de Bachín» des Argentiniers Astor Piazzolla. Das gar liebliche Stück, das er eben gespielt habe, sei «Romans» des russischen Komponisten Alexander Michailowitsch Iwanow-Kramskoi gewesen, antwortet Petar Valko auf unsere Frage. Der aus Bulgarien stammende Musiker, der sich schlicht Pete nennt, erzählt, dass Kramskoi ein Schüler von Andrés Segovia gewesen sei, und auch er möge die spanische Musik sehr.
Eigentlich müsste ich mir wieder einmal «Sketches of Spain» von Miles Davis anhören, dachte ich beim Weitergehen. Und schon habe ich die Gitarrenklänge des «Concierto de Aranjuez» im Ohr, die Gitarrenklänge, die Davis so meisterhaft auf der Trompete spielte, wobei das von Gil Evans geleitete Orchester zur Grossgitarre wurde, deren Klänge die warmen, lyrischen Trompetentöne tänzelnd umschmeicheln und umranken.
Miles Davis hat das Werk des spanischen Komponisten Joaquín Rodrigo in den Wochen vor dem Studiotermin im Herbst 1959 unzählige Male gehört. «Diese Melodie», sagte Davis nach den Aufnahmen, «ist so stark, dass sie noch stärker wird, wenn du sie ganz weich spielst. Sobald du sie stark spielst, wird sie schwach.» Es sei hart gewesen, die Mitmusiker zu überzeugen, dass sie nicht perfekt spielen müssten, sondern gefühlvoll. An Evans gerichtet, der das Orchester wie ein Balletttänzer dirigiert haben soll, meinte er: «Unsere nächste Aufnahme wird Stille sein.»
Miles Davis: «Sketches of Spain» (1959). Auf CD und LP erhältlich.