Aserbaidschan: Ölmilliarden statt Demokratie

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In Aserbaidschan mehren sich die Proteste gegen das Regime, das hart durchgreift. Der Präsident erkauft sich derweil Unterstützung in Europa.

Am diesjährigen Weltwirtschaftsforum (Wef) in Davos machte Aserbaidschan wieder einmal von sich reden. Grossflächige Werbung für das Land am Kaspischen Meer zierte Davoser Busse, es kursierten Gerüchte über einen Einstieg des staatlichen Ölkonzerns Socar in die Davoser Hotelszene. Und bei einem Treffen mit Wef-Präsident Klaus Schwab lud der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew das Wef zu einem regionalen Treffen nach Baku ein. Im April sollen dort die Regionen Südkaukasus und Zentralasien im Mittelpunkt stehen. Irgendwie, witzelt man in der Opposition, müssten die unzähligen Luxushotels, die im Vorfeld des Eurovision Song Contest im Mai 2012 gebaut worden waren, ja rentieren. Genau deshalb findet 2015 auch erstmals ein Sportanlass unter dem Namen Europäische Olympische Spiele in Aserbaidschan statt.

Europa spielt mit

«Das Regime macht sich Europa mit seinen Ölmilliarden gefügig», sagt der im Schweizer Exil lebende regimekritische Schriftsteller Ali Akbar. Das habe die Abstimmung im Europarat am 23. Januar deutlich gemacht: Der vom deutschen Sonderberichterstatter Christoph Strässer (SPD) vorgelegte kritische Bericht zu politischen Gefangenen in Aserbaidschan wurde deutlich, und zwar mit 125 zu 79 Stimmen, abgelehnt. «Dieses Resultat hat sich Aserbaidschan erkauft», sagt Akbar. Mit grosszügigen Geschenken habe Alijews Regierung die Mehrheit der Abgeordneten auf ihre Seite gelockt. Dass Europa sich so um den Finger wickeln lasse, sei vor allem für die Opposition im Land bitter.

Einer der Aktivisten, der in Strässers Bericht namentlich erwähnt wird, sitzt derweil in Haft. Emin Milli, der gemeinsam mit dem Blogger Adnan Hajizade schon 2009 für sechzehn Monate inhaftiert worden war, wurde am 26. Januar bei einer friedlichen Demonstration in Baku mit vier weiteren Aktivisten erneut verhaftet. Milli hatte auf Facebook und Twitter zur Demonstration aufgerufen und Polizei und Armee aufgefordert, sich anzuschliessen. Er wurde zu fünfzehn Tagen Haft verurteilt.

Die etwa hundert DemonstrantInnen in Baku warben unter dem Motto «Richtet eure Waffen nicht auf uns!» für Solidarität mit den BewohnerInnen der Kleinstadt Ismailli im Nordwesten Aserbaidschans. Dort hatte wenige Tage zuvor eine Konfrontation zwischen dem Neffen des Gouverneurs und der lokalen Bevölkerung zu heftigen Protesten gegen die Verwaltung geführt.

Diese Proteste waren laut Milli Ausdruck der Verzweiflung der Bevölkerung. «Die Menschen dort leben wie in feudalen Zeiten», sagte Milli der WOZ kurz vor seiner Verhaftung. «Sie haben keine Jobs, die Strassen sind in einem unmöglichen Zustand. Die Familie des Gouverneurs behandelt die Bevölkerung wie Dreck.» Ein ähnlicher Protest in der nördlichen Stadt Quba hatte im März letzten Jahres zur Absetzung des dortigen Gouverneurs geführt. Diesmal blieb der Gouverneur im Amt. Das Regime wählte eine andere Taktik: Es erklärte in der Region von Ismailli den Ausnahmezustand und stationierte dort Einheiten der Armee. «Sie befürchten ein Übergreifen der Proteste auf andere Regionen», kommentiert Milli. Am Montag wurden in Zusammenhang mit den Ereignissen in Ismailli erneut zwei Regimegegner verhaftet: der Vizeparteichef der Oppositionspartei Müsavat sowie der Vorsitzende der Bürgerbewegung Republikanische Alternative. Unter dem Vorwurf, die Unruhen organisiert zu haben, drohen ihnen bis zu drei Jahre Haft.

Die Bewegung wird breiter

Im Herbst stellt sich Alijew, Herrscher über Ölmilliarden und den korrupten Staatsapparat, zur Wiederwahl. Es wäre seine dritte Amtszeit – eine Verfassungsänderung erlaubt dem Präsidenten eine weitere Kandidatur im Kriegsfall; offiziell befindet sich Aserbaidschan seit 1988 im Krieg mit Armenien. Wegen der bevorstehenden Wahl reagierte das Regime im Januar nervös, als mehrere Tausend Menschen in Baku gegen die zahlreichen Todesfälle bei der Armee protestierten, die sich jährlich fern von Kampfhandlungen ereignen.

Dabei seien nicht mehr nur diejenigen auf die Strasse gegangen, die auch vorher schon protestiert hatten, sondern Menschen aller politischer und sozialer Couleur. «Wir erleben eine Dezentralisierung der Demokratiebewegung», sagt Milli. «Der Unmut in der Bevölkerung wächst, und aufgrund der neuen Medien braucht es keine Parteiführer oder Chefredaktoren mehr, die die Agenda festlegen.» Ein Übergreifen des Arabischen Frühlings auf Aserbaidschan sieht Milli aber nicht. «Die Leute gehen nicht auf die Strasse, weil sie sich von Ägypten oder Syrien inspiriert fühlen», sagt Milli. «Sie protestieren, weil es viele Probleme gibt und weil sie es leid sind, in Angst zu leben.»