Durch den Monat mit Mona Petri (Teil 3): Ist der Arbeitsalltag im Altersheim nicht auch ernüchternd?

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Mit der gleichen Bedingungslosigkeit wie als Schauspielerin auf der Bühne und vor der Kamera arbeitet Mona Petri als Pflegehilfe in einem Altersheim in der Nähe von Zürich. Wie meistert sie den Spagat zwischen ihren unvereinbar erscheinenden Lebenswelten?

Mona Petri: «Im Pflegebereich ist man mit anderen Leuten unterwegs als abends im Theater. Das sind keine Typen, die sich das Feuilleton aus der NZZ fischen.»

WOZ: Mona Petri, Sie sind ja nicht nur Schauspielerin und Mutter einer bald neunjährigen Tochter, sondern üben schon seit längerem verschiedene Berufe aus. Wie ist es dazu gekommen?
Mona Petri: Vieles hat sich einfach ergeben, auch weil ich mich für vieles interessiere. Sprachen waren mir besonders wichtig, darum ging ich als Jugendliche für ein Austauschjahr nach Moskau. Später übersetzte ich Stücke vom Französischen ins Deutsche, und ich war ausser Schauspielerin auch Dramaturgin beim Theater Marie – nicht zuletzt, weil man in der freien Szene viele Aufgaben untereinander aufteilt. Auch meine pflegerische Seite ist nichts Neues, ich jobbte schon im Gymnasium im Altersheim. Damals konnte man das noch ganz ohne Ausbildung.

Inzwischen haben Sie diese Ausbildung absolviert.
Möglich war mir das dank des modularen Kursaufbaus, den das Rote Kreuz dazu anbietet. So erst war für mich eine solche Ausbildung zeitlich und auch finanziell machbar. Die Ausbildung basierte auf einem Baukastensystem mit Basismodulen und Ergänzungskursen, die ich nach und nach absolvieren konnte. Jetzt arbeite ich seit etwa einem Jahr auf der Pflegestation eines Altersheims in der Nähe von Zürich. Kontinuierlich, aber mit einem sehr flexiblen Vertrag. Es gibt Monate, da arbeite ich fast sechzig Prozent, und andere, wie jetzt im Januar und Februar, wo ich nur wenige Tage beschäftigt werde. Dafür habe ich Zeit für Proben und Aufführungen oder – ganz aktuell – die Premiere von «Verliebte Feinde».

Woher kam der Wunsch, über Jahre hinweg eine Pflegeausbildung zu machen?
Dieser ist ebenfalls über die Jahre gewachsen: Wenn man die Zeit während der Schauspielschule mitzählt, habe ich sechzehn Jahre lang nur gespielt. Andere Dinge, wie die Dramaturgie und das Übersetzen, kamen immer häppchenweise dazwischen. Letztlich aber bewegte ich mich doch in der immer gleichen Welt. Und als ich dann Mutter wurde, bestand mein Leben fast nur noch aus Bühne und Familie.

Das Gefühl war vergleichbar mit einer Reisesehnsucht: Ich musste einfach noch mal etwas ganz anderes erleben. Ein weiterer Grund war aber sicher auch der Tod meiner Grossmutter, die mir sehr nahe stand.

Mit Ihrer Grossmutter, der 2009 verstorbenen Schauspielerin Anne-Marie Blanc, standen Sie in deren letzten Jahren auch auf der Bühne, im Zweipersonenstück «Savannah Bay» von Marguerite Duras. Haben Sie auch sie gepflegt, als sie schwächer wurde?
Wenn man Kinder hat, wächst man ganz selbstverständlich in vieles hinein. Hingegen habe ich mich nicht getraut, meiner Grossmutter beim Waschen und Ankleiden behilflich zu sein, sondern fühlte mich zuerst unsicher und unbeholfen. Und gleichzeitig fand ich es so unnatürlich, die Nachtschwester zu rufen, um meine Grossmutter ins Bett zu bringen. Das hat mich enorm gestört. Ich wollte diese Lücke füllen, mir dieses Stück meiner Persönlichkeit zurückerobern. Und mit der Ausbildung konnte ich tatsächlich einen Riesenteil meines Sehnsuchtspuzzles vervollständigen.

Ich wäre schon als Kind gern ein bisschen Mutter Teresa gewesen, die Pflegende, Heilende. Das ist und war schon immer auch ein Teil von mir.

Ist der Arbeitsalltag in einer Pflegeabteilung für Sie als Kulturschaffende nicht ernüchternd?
Er ist, mit allen schwierigen Momenten, vor allem bereichernd: allein schon die Begegnung mit all den Ladys, die dort arbeiten. Es gibt im Pflegebereich ja fast keine Männer. Das sind alles «Weiber», viele Migrantinnen, und ganz tolle Menschen.

Pflegen ist, wie gebären oder Kinder aufziehen, etwas Urweibliches. Gleichzeitig wird kaum ein Bereich so sehr aus der Gesellschaft ausgeschlossen wie die Pflege der Alten. Die meisten bekommen davon rein gar nichts mit. Auch nicht von der brutalen Realität dieser Jobs: morgens um fünf aufstehen, im Dunkeln mit der vollen Bahn ins Spital fahren, damit man um sieben fertig umgezogen auf der Station steht. Da ist man mit anderen Leuten unterwegs als abends im Theater. Das sind keine Typen, die sich das Feuilleton aus der NZZ fischen. Und doch ist es eine Welt, in die ich auch sehr gut hineinpasse.

Sie leben, so scheint es, in völlig verschiedenen Universen – oder gibt es da doch Gemeinsamkeiten?
Pflege ist genauso grenzen- und tabulos wie das Theater. Und oft muss man auch in der Pflege aus der Situation heraus improvisieren. Ich hoffe sehr, dass ich das in dieser Mixtur weiterführen kann. Es kommt ja auch sehr viel Input aus dieser Welt, beide befruchten sich gegenseitig. Sie tun mir gut, diese Tage im Heim – wo man dann auch mal Feierabend hat. Mit den Kleidern lege ich dort auch die Belastung ab. Nicht wie im Theater, wo man nach der Probe jeweils noch Text lernt oder nach der Aufführung das halbe Stück bei einem Glas Wein mit den Kollegen durchanalysiert.

Mona Petri (36) stand 2004 mit ihrer Grossmutter Anne-Marie Blanc, der Grand Old Lady des Schweizer Films und Theaters, im Zweipersonenstück «Savannah Bay» von Marguerite Duras auf der Bühne. Ab 21. Februar ist sie als Iris von Roten in Werner «Swiss» Schweizers Film «Verliebte Feinde» in den Deutschschweizer Kinos zu sehen (vgl. «Sie war zu früh und zu radikal» ).