Kommentar: Es braucht mehr Sainte-Croix

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Im Asylzentrum Perreux NE soll es zu sexuellen Übergriffen auf Asylsuchende gekommen sein. Acht Personen – fünf Mitarbeiter der privaten Sicherheitsfirma NSA Sécurité sowie drei Beamte des kantonalen Migrationsamts – stehen zum Teil im Verdacht, ihre Position missbraucht zu haben, um Asylbewerberinnen zum Sex zu nötigen. Die Neuenburger Staatsanwaltschaft hat ein Strafverfahren eingeleitet.

Der Vorfall im Asylzentrum Perreux kann nicht losgelöst von den dortigen Strukturen betrachtet werden. Die Unterkunft für 150 Asylsuchende ist in einer ehemaligen Psychiatrieklinik weit weg vom Dorfkern untergebracht. Um die Sicherheit rund um das Asylzentrum zu gewährleisten, hat Neuenburgs Regierung im letzten Jahr 864 000  Franken aufgewendet – für ein Mandat der privaten Sicherheitsfirma NSA Sécurité.

Diese strukturellen Merkmale sind typisch. Auf allen Ebenen – Bund, Kantone, Gemeinden – versuchen die Behörden, die Unterbringung Asylsuchender nach demselben Muster zu vollziehen: in einer möglichst abgelegenen Unterkunft ohne Einbezug der Zivilgesellschaft. Im Zentrum steht nicht 
die Betreuung, sondern Sicherheitsmassnahmen. Das Bundesamt für Migration geht da «beispielhaft» voran: WOZ-Recherchen haben ergeben, dass von den siebzig Millionen Franken, die der Betrieb von Bundeszentren und Notunterkünften kostet, 27 Prozent für die Sicherheit ausgegeben werden. Demgegenüber stehen 15 Prozent für die Betreuung zur Verfügung (siehe WOZ Nr. 51/12).

Menschenrechtsorganisationen kritisieren dieses Missverhältnis stark. Für Beat Meiner, Generalsekretär der Flüchtlingshilfe, ist es «Ausdruck einer grundsätzlich falschen Konzeption». Viel wichtiger wäre die professionelle Betreuung durch qualifiziertes Personal. Damit würde man sich viele Probleme, die man heute hat, ersparen, so Meiner.

Nur vierzig Kilometer südwestlich von Perreux, im waadtländischen Sainte-Croix, setzt man auf ein anderes Konzept. Das Asylzentrum liegt im Dorf, es findet ein regelmässiger, freiwilliger Austausch zwischen Asylsuchenden und der Dorfbevölkerung statt, verschiedene Beschäftigungsangebote stehen im Programm. Die Sicherheit ist in Sainte-Croix kein Budgetposten.