Corona und Asyl: Zürich lässt die Verletzlichsten im Stich
Zahlreiche Medienberichte und Dokumente von ÄrztInnen, Hilfsorganisationen und abgewiesenen AsylbewerberInnen belegen: In den fünf Rückkehrzentren im Kanton Zürich herrschten mindestens bis Anfang April bezüglich Coronamassnahmen unhaltbare Zustände. Vergangene Woche haben daher die Demokratischen JuristInnen, Solidarité sans frontières und sechs AsylbewerberInnen Beschwerde gegen Regierungsrat Mario Fehr und weitere Führungsverantwortliche der Sicherheitsdirektion des Kantons sowie der Betreibergesellschaft ORS eingereicht. Angezeigt werden sie unter anderem wegen Nötigung, Körperverletzung oder vorsätzlicher Widersetzung gegen die Covid-19-Verordnung.
Die siebzigseitige Strafanzeige belegt die Missstände minutiös. Den 600 BewohnerInnen der Zentren fehlte es an fast allem, damit sie sich gegen das Virus hätten schützen können – selbst an Seife. Abstandsregeln konnten sie nicht oder kaum einhalten. Auch die Isolation von Infizierten funktionierte nicht. Im Zentrum Urdorf waren fünfzig Personen in vier Zimmern ohne Tageslicht untergebracht. Ein betreuender Arzt, der die AsylbewerberInnen dort seit Jahren betreut, forderte die Schliessung des Zentrums. Zwar ermöglichten die Behörden ab dem 20. März eine spezielle Unterbringung von 32 besonders «vulnerablen» Personen, aber das reichte bei weitem nicht. Die Strafanzeige verweist darauf, der Kanton hätte dafür auf leer stehende Hotels, Jugendherbergen oder eine Liegenschaft des Zürcher Frauenhauses zurückgreifen können.
Eine umfangreiche interne Weisung des Staatssekretariats für Migration «betreffend Massnahmen zum Mitarbeiterschutz gegen Covid-19 und zum Umgang mit Covid-19 bei Asylsuchenden im Unterbringungs- und Betreuungsbereich» für die Bundeszentren zeigt, wie ein wirksamer Schutz zu gewährleisten gewesen wäre. In den Zürcher Zentren wurden diese Massnahmen gemäss Strafanzeige nicht berücksichtigt. Bleibt die Frage, was den Betroffenen eine Klage jetzt noch bringt. Marcel Bosonnet, Anwalt der PrivatklägerInnen, sagt: «Es geht erstens um Genugtuung und Schadenersatz für die Betroffenen, zweitens um eine langfristige Verbesserung der Zustände in diesen Zentren.»
Und was sagt Regierungsrat Fehr? In einer Pressemitteilung liess er verlauten: Die Anzeige sei ein «Missbrauch des Strafrechts für politische Zwecke». Der Schutz der Gesundheit aller Personen im Asylbereich habe für den Kanton Zürich «zu jeder Zeit hohe Priorität». Gerade einmal 8 von 600 Personen in der kantonalen Asylinfrastruktur seien erkrankt.