Linke Politik: Nichts als selbstverständlich

Nr. 11 –

Pünktlich wie eine Uhr zeigt die Zusammensetzung des NZZ-Verwaltungsrats an, wie es um die Rechte in der Schweiz steht. Wieder einmal ist es fünf nach zwölf.

2001, als der alte Freisinn im Swissair-Grounding unterging, musste Eric Honegger seinen Präsidentenposten nicht nur bei der Fluggesellschaft räumen, sondern auch bei der Zeitung. Neu in den Verwaltungsrat geholt wurde ein rechtschaffener, redseliger Privatbanker aus der Ostschweiz, der später auch die Präsidentschaft übernahm: Konrad Hummler. Letzte Woche, nachdem seine Bank Wegelin für ihre Mithilfe am Steuerbetrug von US-BürgerInnen verurteilt wurde, gab er seinen Austritt aus dem NZZ-Verwaltungsrat.

Die Krise der Swissair, fliegendes Symbol der Schweizer Neutralität, markierte einen ersten Bruch in der Wirtschaftsordnung nach dem Kalten Krieg. Man rettete sich in die champagnertrunkenen Boni der Nullerjahre. Und in ein missionarisches, gesellschaftliches Programm. Was die rechten Parteien zusätzlich einte, war die alte bürgerliche Bange vor dem eigenen Untergang: Die Tolerierung beziehungsweise Durchsetzung der fremdenfeindlichen, verfassungswidrigen Vorlagen passierte nicht einfach nebenher.

In der Wirtschaftskrise schien mit der UBS-Rettung die Rechnung erneut aufzugehen. Bis zur deutlichen Annahme der Abzockerinitiative. Gewiss, Thomas Minder ist alles andere als ein Linker, er ist ein rechter Einzelgänger. Logischerweise konnte nur so einer fürs Erste eine Mehrheit in einer, zumindest dem Namen nach, sozialen Frage gewinnen.

Die Rechte wirkt in diesem Frühling desorientiert und zerstritten wie selten. Nur, wie kann die Linke die Chance nutzen? Nicht, wenn sie all ihre Initiativen einzeln abfeuert. Sondern wenn es ihr gelingt, sie zu einem gesellschaftspolitischen Entwurf zu verbinden.

Die Linke bringt gute Ideen in die Krisendiskussion: die 1:12-Initiative, die Abschaffung der Pauschalbesteuerung, die Einführung einer Erbschaftssteuer. Sie könnten mehr Verteilungsgerechtigkeit schaffen. Die Mindestlohninitiative und, gerade lanciert, «AHV plus» orientieren sich an den konkreten Lebensrealitäten. Ein Lohn von mindestens 4000 Franken und eine Erhöhung der Rente um zehn Prozent würden Sicherheit für die Menschen mit unteren und mittleren Einkommen bringen.

Lebensrealität ist das Stichwort für den Entwurf. Es gibt Begriffe, die in der Politik ewig umstritten sind. «Freiheit» ist so einer. Oder eben «Realität». Diesen kann die Linke zurückgewinnen: Gerechte Löhne und faire Mieten? Nichts als selbstverständlich! Öffentlicher Verkehr, erneuerbare Energien? Kinderkrippen und bitte auch wieder einmal vom Nachtleben reden? Nichts als selbstverständlich! Und immer auch an die Welt denken.

Nennen wir den Entwurf der Linken ein Programm der Selbstverständlichkeit. Und formulieren wir es in diesem Ton. Selbstbewusst im besten Sinn: nicht arrogant, aber im klaren Bewusstsein um die eigene soziale Position.

Denn es wird nicht genügen, sich auf eine unscharfe Auseinandersetzung zwischen dem Mittelstand und einer feudalen Elite zu beschränken. Wer die gegenwärtige Ökonomie nicht nur über den Manager zu verstehen versucht, sondern auch über die Pflegerin im Altersheim oder die Verkäuferin im Tankstellenshop, weiss: Die prekären Jobs werden meist von Menschen ohne Schweizer Pass erledigt. Dass sie leichter ausgenutzt werden können, hat gerade mit ihrem rechtlichen Status zu tun. Die Sozialdemokratie muss endlich den vorgestrigen Integrationsbegriff aufgeben und Migrationspolitik als Kampf um gleiche Rechte für alle verstehen. Jetzt während der Einbürgerungsdebatte, im Juni gegen das Asylgesetz. Zumindest in dieser Hinsicht kann sich die europäische Linke ein Vorbild an Barack Obama nehmen: Eine Diversity-Bewegung aus Schwarzen, Frauen, Gewerkschaftern, Latinas und Homosexuellen hat die weissen Republikaner das Fürchten gelehrt.

Lösen wir eine solche Gesellschaft ein. Da können die Rechten in ihren gekauften Blättern noch mehr Gedichte über die Schweiz schreiben. Dass wir mit diesem Entwurf das Land genauer kennen – nichts als selbstverständlich.