Margaret Thatcher: Der Tod der unwilligen Muse
Die verstorbene ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher hat Kunstschaffende aller Sparten an- und aufgeregt – besonders auch in der Pop- und Punkszene.
«Merry Christmas, Maggie Thatcher», schreibt Sir Elton John 2005 für das Musical «Billy Elliot», das 1985 spielt: «We all celebrate today, ’Cause it’s one day closer to your death». Morrissey beendet 1988 sein Album «Viva Hate» mit «Margaret on the Guillotine». «When will you die?», fragt er schmachtend, am Ende saust das Fallbeil nieder. Nach dem natürlichen Tod der Baroness am 8. April meldete sich Morrissey erneut zu Wort: «Thatcher war keine grosse Anführerin. Die Leute waren ihr scheissegal. Diese Grobheit wurde als Tapferkeit beschönigt von der britischen Presse, die versucht, im Namen des Patriotismus die Geschichte umzuschreiben.» Auf den Strassen von Brixton, Glasgow und Liverpool wurde der Tod der Eisernen Lady gefeiert. Einen Tag später stehen zwei tote Frauen mit demselben Song in den Download-Charts auf Spitzenplätzen: Judy Garland auf eins, Ella Fitzgerald auf vier. Der Song? «Ding-Dong! The Witch Is Dead» aus dem Film «Der Zauberer von Oz». Eine Facebook-Initiative hatte zum Kauf des Songs aufgerufen.
Der innere Feind
«Ding-dong, die Hex’ ist tot.» Woher der Furor? Fragen wir Jon Savage. Der 59-Jährige ist seit Jahrzehnten einer der renommiertesten britischen Popkritiker und Autor der Punkchronik «England’s Dreaming». In seinem letzten grossen Buch «Teenage. The Creation of Youth» bezeichnet Savage die Massenhysterie um den «Zauberer von Oz» von 1939 als «Gründungsdokument der Traumökonomie», ein frühes Popphänomen.
74 Jahre später feiern manche Britinnen mit «Ding-Dong! The Witch Is Dead» den Tod ihrer langjährigen Premierministerin. Was ist da los? «Als ich von ihrem Tod hörte, habe ich tatsächlich überlegt, ob ich das Lied nicht meinen Freunden schicken sollte», so Savage. Thatcher habe polarisiert und das Land gespalten, entweder man liebte sie, oder man hasste sie. Savage gehört eher zur zweiten Fraktion. «Ich bin politisch nicht einverstanden mit dem jetzigen Premier David Cameron, aber ich verabscheue ihn nicht, Thatcher schon. Sie war eine archaische Domina, eine viktorianische Figur. Wenn du in den achtziger Jahren so warst wie wir, dann warst du der innere Feind.»
So wie wir? Anders als die weisse Mittelklasse, nonkonformistisch, kunstaffin, que(e)r zur Heteronorm, wer so war, den konnte Thatchers Kriegserklärung treffen, erläutert Savage: «Sie hat Aussenseiter produziert, immer mehr Gruppen ausgegrenzt, das ist das Problem der Tories, sie sind exklusiv, sie schliessen aus. Und wenn du immer mehr Leute ausgrenzt, dann werden die Ausgeschlossenen irgendwann zur Mehrheit, und genau das ist in den späten achtziger Jahren passiert. Die konservative Regierung hat immer mehr Leute dämonisiert, bis die irgendwann mehr waren, als es konservative Wähler gab. Acid House und Rave waren eine Bewegung für Freiheit, sie haben keine politische Sprache benutzt, aber sie waren implizit politisch, weil sie Räume ausserhalb der Politik gesucht haben. Rave war eine unbewusste Reaktion auf den Zusammenbruch der Politik unter Thatcher. Regierungen wollen Kontrolle ausüben, und Rave hat sich der Kontrolle entzogen. Viele Acid-House-Aktivisten waren 1990 bei den Poll Tax Riots gegen die Kopfsteuer beteiligt, das war der Anfang vom Ende des Thatcher-Regimes.»
Cameron macht weiter
In den rechten Medien wird Thatcher jetzt gefeiert, erzählt Savage, sogar als Pionierin des Feminismus. Nicht alle sind amused. Die Garagenrockpionierin Holly Golightly kommentiert: «Grrrr. Wie lächerlich, Thatcher als Feministin zu feiern. Sie hat nichts für die Frauenbewegung getan, ihre Politik richtete sich ausdrücklich gegen Frauen, und Cameron macht da weiter, wo sie aufgehört hat. Den Weg nach Downing Street No. 10 haben andere für sie geebnet, Frauen, die hart für die Gleichheit gekämpft haben, und denen Thatcher ins Gesicht gespuckt hat. ‹Feminist my arse›.»
Auch Savage mokiert sich über «das Gerede vom Feminismus». Ronald Reagan, ihr Bruder im Geiste, nannte Thatcher «Englands besten Mann». Wäre einem Mann für dieselbe Politik ebenso viel Hass entgegengeschlagen? «She had to outmacho the men», meint der schwule Antimacho Savage. «Weil sie eine Frau war, musste sie das Machotum der Männer überbieten. Ich glaube nicht, dass der Hass misogyne Motive hat, sie wurde gehasst als die Frau, die sie nun mal war, als Schuldirektorin, als ‹bossy› Matrone.»
Aber hat das nicht misogyne Züge, wenn jetzt der Tod der «witch» gefeiert wird, oder der «bitch»? Ja, das sei misogyn, meint Savage, aber verglichen mit dem, was Thatcher angerichtet hat, sei es eine Kleinigkeit. «Ich würde das ernster nehmen, wenn sie wirklich Feministin gewesen wäre. Eigentlich denke ich bei Mrs. Thatcher gar nicht an eine Frau, weil sie sich in einen Macho verwandeln musste, um zu tun, was sie getan hat. Ein Symptom ihrer Zeit, aber auch ihr eigenes.»
Ein Symptom ihrer Zeit sind auch Dutzende von Anti-Thatcher-Songs, die es in den achtziger Jahren mit hasserfüllten Texten bis in die Charts schafften. In «Tramp the Dirt Down» will Elvis Costello auf ihrem Grab tanzen, The Specials verkünden mit Bob Dylans Worten «I ain’t gonna work on Maggie’s farm no more», die Ska-Band The Beat begnügt sich mit einer Rücktrittsforderung: «Stand Down Margaret», einer der Favoriten von Savage.
Cameron, der Smiths-Fan
Der britische Pop erlebte also ausgerechnet unter der Knute der Eisernen Lady eine Blüte, fast schon eine ironische Pointe auf Thatchers Sozialdarwinismus. Auch eine Bestätigung der gängigen These, dass die Kunst in Krisenzeiten besonders kreativ wird, Jon Savage? «In gewisser Weise ja, aber es hatte auch mit der Energie des Punk zu tun. Ein grosser Teil der Musik war Opposition, für mich der grösste Moment ist ‹The Queen Is Dead› von den Smiths, das Album ist nicht explizit politisch und dreht sich dennoch um die ganze britische Gesellschaft. ‹The Queen Is Dead› ist nicht so albern wie die späteren Songs von Morrissey, ‹Margaret on the Guillotine›, zum Beispiel: Das ist bescheuert. Heute wird Morrissey nicht ernst genommen, er hat keine Autorität mehr, er macht auch keine Musik mehr und lechzt nur noch mit kontroversen Statements nach Aufmerksamkeit.»
Anders als Thatcher sucht der aktuelle Premier den Schulterschluss mit dem Pop: So bezeichnet sich David Cameron als Fan von den Smiths und The Jam, beides Antipoden des Thatcherismus. Johnny Marr habe sich via Twitter dieser Umarmung entzogen und sich von Cameron distanziert, so Savage. «Er darf das, er hat die verdammten Songs ja geschrieben. Es ist wie bei Tony Blair und seiner Liebe zum Sound der Sixties: Wenn diese Leute sich die Musik wirklich anhören würden, dann könnten sie nicht tun, was sie tun.»