Fussball und andere Randsportarten: «Ins Knie ficken und sterben»
Etrit Hasler über den letzten Titanen des Fussballs.
Jede Generation hat ihre Titanen des Sports. Männer, die zum Mythos werden. Männer, die nur als Ansporn herbeigezogen werden dürfen, aber nie als Vergleich dienen. Männer, deren Schatten so lange noch über den Sport fällt, den sie geprägt haben, dass ganze Jahrzehnte darin verschwinden können. Männer wie Muhammad Ali. Bruce Lee. Michael Jordan. Zinedine Zidane. Babe Ruth. Pele. Ich sage absichtlich Männer – diese quasi-barbarische Heldenverehrung, wie sie dem Sport eigen ist, hat einen tiefen militärischen Kern. Und dieser Faszination – so unterstelle ich einfach einmal – erliegen Frauen (glücklicherweise) einfach seltener. Und vielleicht ist es gerade die Tatsache, dass es sich dabei um eine so männliche Verehrung handelt, dass wir heute kaum noch von Pele sprechen: Als er begann, für Viagra-Werbespots in die Kameras zu grinsen, brach für viele Männer eine Welt zusammen.
Meine Generation hat es da ein bisschen schwerer, solche Giganten, solche Mythen zu finden. Lionel Messi besitzt den Machismo eines Chihuahua-Welpen. Und denselben Charme: Wenn sich ihm Frauen aller Länder an den Hals werfen, dann höchstens, um ihm zärtlich über den Kopf zu streicheln. Die Klitschko-Brüder betonen in jedem Interview, wie sehr sie ihr Mami lieben. Und einer von beiden ist noch Politiker. Und Roger Federer hat weniger Charakter als die Kaffeemaschinen, für die er Werbung macht. Meine letzte Jura-Maschine war jedenfalls am Morgen häufig noch grummeliger als ich selber.
Vor etwas mehr als einer Woche ging uns vielleicht der letzte Titan des modernen Sports verloren. Sir Alex Ferguson gab nach 27 Jahren seinen Rücktritt als Trainer von Manchester United bekannt. 27 Jahre – die Anstellung eines Fussballtrainers in der schnelllebigen englischen Premier League hält im Durchschnitt nicht einmal eineinhalb Jahre. Und in der plötzlich so glamourösen, hochpolierten Kommerzwelt des Fussballs passte der raubeinige Choleriker Ferguson so gut ins Bild wie Klaus Kinski in eine romantische Komödie.
Fergusons Wutausbrüche sind unübertroffen. So fügte er einst in der Kabine David Beckham eine Platzwunde zu, als er einen Schuh nach ihm warf. Fergusons Reaktion? Er fuhr den nächstbesten Physiotherapeuten an: «Flickt ihn verdammt noch mal zusammen!» Seine Konfrontationen mit Schiedsrichtern, für die er immer wieder mit Bussen belegt wurde, waren so regelmässig, dass in England der Begriff der «Fergie Time» kursierte: zusätzliche Nachspielzeit, welche Ferguson herausholte, indem er sich mit den Schiedsrichtern stritt.
Und natürlich seine Fehden mit den Medien, die er auch gezielt inszenieren konnte, um seine Leute auf eine Belagerungsmentalität einzuschwören: Wenn alle gegen uns sind, dann gewinnen wir erst recht. Kein anderer Trainer konnte es sich erlauben, JournalistInnen ins Gesicht zu sagen: «Das ist die dümmste Frage, die ich in meiner Karriere gehört habe.» Der auf die Frage, was denn das Boulevardblatt «Daily Mirror» machen könnte, um sich mit ihm zu versöhnen, folgende Antwort gab: «Ihr könnt euch ins Knie ficken und sterben.» Dem war eine lange Fehde mit dem vermutlichen Telefonhacker Piers Morgan vorausgegangen. Vielleicht machte das Ferguson sympathisch – er wählte seine FeindInnen mit Bedacht.
38 Trophäen gewann Ferguson mit Manchester United – jeden der Dutzende von Cups, die ein englischer Klub gewinnen kann –, es gibt keinen erfolgreicheren Trainer als ihn. Und so, wie sich der Fussball entwickelt hat, wird es wohl auch nie mehr einen geben. Als sich Ferguson am 12. Mai anlässlich seines letzten Heimspiels vom Publikum in Manchester verabschieden durfte, wischte er sich nach seiner (für seine Verhältnisse ungewohnt versöhnlichen) Ansprache heimlich eine Träne aus den Augen. Das darf er. «Echte» Männer weinen vielleicht nicht. Titanen eben schon. So long, you crazy old bastard.
Etrit Hasler hält nicht viel von traditionellen Männerbildern. Was ihn nicht gegen barbarische Bewunderung immun macht.