Fussball und andere Randsportarten: Gladiatoren statt Choreos
Etrit Hasler über Doppelmoral im Fussball.
Es ist noch nicht so lange her, dass Fussballvereine auch in der Schweiz ihren Fans verboten, Choreos und Spruchbänder gegen Rassismus zu machen – das Argument: Wir machen Fussball, nicht Politik. In Wirklichkeit hatten die Verantwortlichen bloss Angst, Fans aus der rechten Ecke zu verscheuchen. Wohl aus denselben Gründen weigerten sie sich während Jahrzehnten, einen Blick in die Fankurven zu werfen und das tatsächlich vorhandene Gewaltpotenzial ernst zu nehmen.
Heute macht die Fifa von sich aus Kampagnen gegen Rassismus – vielleicht das Ehrenhafteste, was dieser vom Geld zerfressene Verband jemals geleistet hat. Auch wenn die RassistInnen (im Unterschied zu den klassischen Hooligans, die alle schon polizeilich registriert sind) trotzdem noch in den Stadien zu finden sind – wieso auch nicht? Aus der Mitte der Gesellschaft haben wir sie ja auch noch nicht verbannt.
Und dennoch gibt es anscheinend eine Grenze: Als Kevin-Prince Boateng diesen Januar nach rassistischen Beschimpfungen bei einem Testspiel zwischen seinem Verein AC Milan und einem Viertligisten den Platz verliess – was zum Abbruch der Partie führte –, folgte die Quittung umgehend. Fifa-Präsident Blatter kritisierte Boateng und faselte von «anderen Lösungen», die man finden müsse – Worte tun halt weniger weh als Taten.
An ganz anderem Ort zeigte sich die Verlogenheit während des Champions-League-Finals letzte Woche in London. Aus Panik vor fernsehuntauglichen Bildern wurde den Fankurven faktisch verboten, Choreografien zum Einlauf zu machen. Das muss man verstehen – so paranoid, wie der Diskurs um Gewalt im Fussball derzeit geführt wird, musste man befürchten, dass beim Abbrennen einer einzigen Pyrofackel gleich die ganze Stadt London in Präventivhaft gesetzt worden wäre. Ein Dialog ist unter solchen Umständen natürlich nicht möglich.
Und vor der inszenatorischen Logik, dass ein Champions-League-Final eben nicht ein Provinzgekicke ist, sondern der kommerziellste Sportanlass der Welt, hat dies durchaus Sinn: Hier will man auch keine «normalen» Fussballfans im Stadion haben, sondern ZuschauerInnen, die das als gesellschaftlichen Event verstehen, als sportliches Gegenstück zum Wiener Opernball oder zu einer Oscar-Verleihung. Das kann ich durchaus nachvollziehen. «Normale» Fussballfans würden sich da auch nicht wohlfühlen.
Und doch ist es verlogen, genauso wie der Rest des Diskurses über Gewalt und Fussball. Mannschaftssport ist nichts anderes als die Reinszenierung von Krieg. Das äussert sich nicht nur im Gebaren der Fans, das durchdringt die Sprache, mit der wir den Sport an sich beschreiben, bis in die letzte Faser: Von Vorstössen, Zurückfallen, Angriff und Belagerung, ja selbst von Massaker ist da die Rede. Kein Wunder also, kann der Sport auch die dunkelsten Seiten der Menschen ansprechen – aber das verleugnet man lieber. Und glaubt, dass das Problem der Gewalt in der Gesellschaft mit Hooligan-Konkordaten gelöst wird.
In diese Verlogenheit passte es auch, wie der Champions-League-Final zwischen Borussia Dortmund und Bayern München inszeniert wurde: Vor dem Spiel gingen Gladiatoren mit Schild, Schwert und Bogen in den Farben der zwei Teams aufeinander los. Fussball als Krieg, inszeniert vor Tribünen gefüllt mit VIP-Fans in Anzug und Abendkleid mit Sektglas in der Hand. Die «Süddeutsche» schrieb dazu, dass eigentlich nur noch Panzer in den Farben gelb-schwarz und rot-blau fehlten – es wäre ein naheliegende Klischee über Deutsche in England gewesen. Gewalt verurteilen und dafür inszenieren? Eine interessante Wendung, zugegeben.
Also verbannen wir die Gewalt aus den Stadien und inszenieren sie wieder auf dem Platz – klinisch, ungefährlich und emotionslos. Verzeihen Sie mir, wenn ich bemerke: Das ist in etwa so verlogen wie Frieden fordern und gleichzeitig Waffen liefern.
Etrit Hasler wünscht sich ein bisschen mehr Ehrlichkeit. Und ein Nein zum verlogenen «Hooligan-Konkordat».