Fussball und andere Randsportarten: Judenjagd und «Yid Army»

Nr. 10 –

Etrit Hasler über die seltsame Beziehung zwischen vermeintlichen Juden und Fussballfans

Es wird wahrscheinlich der Skandal des Schweizer Fussballjahres bleiben: Beim Auswärtsspiel in St. Gallen trieb die Fankurve des FC Luzern einen als orthodoxen Juden Verkleideten mit FCSG-Schal durch die Strassen. Die Polizei griff nicht ein, und die sonst so scharfen St. Galler Strafverfolgungsbehörden fühlten sich erst dazu veranlasst, nachdem die Sonntagspresse Chefstaatsanwalt Thomas Hansjakob vorgeworfen hatte, die Aktion als «Fasnachtsscherz» zu verharmlosen. Ein Shitstorm ging durch die Medien bis hin zum «Spiegel», jüdische ExponentInnen protestierten.

So weit die Zusammenfassung. Und verzeihen Sie mir, wenn ich nicht richtig weiss, wer in der ganzen Geschichte den grössten Deppen-Award verdient hat: die FCL-Fans, Hansjakob oder vielleicht auch nur wieder einmal die Boulevardblätter, die einmal mehr einen Grund haben, alle Fussballfans in einen Topf zu werfen.

Zurück zum Anfang, zur Aktion selber. So lange ist es noch nicht her, dass in den meisten Schweizer Stadien (gerade auch in St. Gallen) Fangesänge wie «Wir bauen eine U-Bahn von Basel bis nach Auschwitz» zu hören waren – in Luzern ist das etwas harmlosere «Sie werden fallen, die Juden aus St. Gallen» bis heute nicht ausgestorben. Vor diesem Hintergrund ist vielleicht auch die Rechtfertigung eines anonymen Luzerner Fans zu verstehen, die danach überall abgeschrieben wurde: Die St. Galler identifizierten sich angeblich selber mit Juden, und es seien auch schon Israelfahnen bei Spielen in der Kurve geschwungen worden. Zumindest der zweite Teil der Aussage ist einfach zu erklären: Seit letztem Jahr steht beim FCSG mit Nisso Kapiloto ein israelischer Spieler im Kader.

Der Rest der Behauptung entstammt dem Reich des gefährlichen Halbwissens. Tatsächlich gibt es Fankurven, die sich selber mit dem Judentum und/oder Israel assoziieren – die bekanntesten sind Ajax Amsterdam und die Tottenham Hotspurs. Während in Amsterdam wahrscheinlich die Nähe des Stadions zum jüdischen Viertel der Stadt zur Symbolik führte, hatte sich die «Yid Army», die Fankurve Tottenhams, tatsächlich als Reaktion auf antisemitische Beleidigungen ihrer GegnerInnen so benannt.

Die Diskussionen darum sind seit Jahrzehnten dieselben: KritikerInnen werfen den Fangruppen vor, ihre GegnerInnen quasi zu antisemitischen Statements zu provozieren, die Fans verteidigen sich, sie würden so den antisemitischen Attacken den Wind aus den Segeln nehmen – und die jüdische Community ist gespalten, ob sie das alles nun gut oder ganz schlimm finden soll. Die «Haaretz» und die «Jewish Chronicle» findens unproblematisch, andere KommentatorInnen würden das «Y-Wort» gern aus den Stadien verbannen. So auch der englische Fussballverband, der letztes Jahr mit Strafen drohte, was die Fans allerdings herzlich wenig kümmert.

Was hat das mit dem FC Luzern zu tun? Nichts. Dass die InnerschweizerInnen tendenziell sehr weit rechts stehen, weiss man seit Jahren. Daran ändert weder die Aktion etwas (nach der man wenigstens wieder weiss, woran man bei der FCL-Kurve ist) noch die etwas verzweifelt wirkenden Versuche des Vereins, etwas zu unternehmen – etwa, den Fotografen zu sperren, der die Aktion fotografiert hatte. Auch die Tatsache, dass die St. Galler Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Strafverfahrens nun Videobilder auswertet, kommt ein bisschen (zu) spät.

In der ganzen Aufregung ging eines anscheinend vergessen: Niemand fragte die FC-St.-Gallen-Fans, die ja eigentlich das Ziel der Geste waren, was sie eigentlich davon hielten. Nun – die Espenkurve erfuhr davon erst aus den Medien. Und reagierte ziemlich cool. «Wieso sollten wir beleidigt sein, wenn wir als Juden bezeichnet werden?», meinte ein Mitglied des Dachverbands der St. Galler Fans auf Anfrage. Da hat er wohl recht. Anscheinend hat man zumindest in St. Gallen in den letzten Jahren ein bisschen was dazugelernt.

Etrit Hasler schreibt nur über relevante Themen, sogar in der Sportkolumne.

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