Durch den Monat mit Dieter von Blarer (Teil 1): Wie würde eine gute Asylpolitik aussehen?

Nr. 23 –

Dieter von Blarer arbeitete als Flüchtlingsanwalt, war in Einsätzen im Kosovo und lebte mehrere Jahre in Zentralasien. Als Ombudsmann der Stadt Basel hat er auch Verständnis für die Polizei, wenn es um schwierige Asylsuchende geht.

WOZ: Dieter von Blarer, Sie besitzen einen Rebberg. Der Mai war verregnet und kalt. Wie geht es den Reben?
Dieter von Blarer: Unsere Reben im Tschäpperli bei Aesch stehen zum Glück an Hängen, das Wasser fliesst ab. Aber die tiefen Temperaturen machen den Rebstöcken schon zu schaffen.

Baselland ist keine berühmte Weingegend. Können die Weine mithalten?
Sehr wohl. Urs Jauslin aus Muttenz ist im letzten Jahr mit seinen Pinots noirs aus drei Jahrgängen am «Mondial du Pinot Noir» Weltmeister geworden. Wir haben mit unserem Riesling x Sylvaner 2011 am Grand Prix du Vin Suisse 2012 eine Goldmedaille geholt. Man kann hier also sehr gute Weine machen. Aber das ist nur beschränkt mein Verdienst. Unser Weingut wird von einem professionellen Rebbauern geleitet und mitgeprägt – ich helfe bei Marketing und Verkauf mit.

Am Sonntag wird über eine Asylgesetzrevision abgestimmt. Sie haben schon in den achtziger Jahren als Anwalt Asylsuchende vertreten. Ihr Fazit nach dreissig Jahren Asylpolitik?
Die Situation ist völlig verfahren. Es erstaunt aber, wie viel Raum die Debatte noch einnimmt, geht es doch letztlich um relativ wenig Leute. Es gab Zeiten, da stellten pro Jahr mehr als 45 000 Flüchtlinge ein Asylgesuch. Wohl aufgrund des Arabischen Frühlings waren es im letzten Jahr zirka 28 000. In den letzten zehn Jahren waren es auch schon erheblich unter 20 000. Ich bezweifle, dass reduzierte Gesuchszahlen und Gesetzesverschärfungen überhaupt etwas miteinander zu tun haben.

Womit dann?
Während der Konflikte auf dem Balkan kamen Anfang und Ende der neunziger Jahre sehr viele Flüchtlinge zu uns. Dann wurde es wieder ruhiger. Mit dem Arabischen Frühling vor zwei Jahren nahmen die Asylgesuche aus dem Maghreb zu. Steigende Gesuchszahlen hängen also sicher auch mit den Konflikten in den Herkunftsländern zusammen.

Wie würde eine gute Asylpolitik aussehen?
Zum einen jagen sich die Asylreferenden und -gesetze. Man weiss kaum mehr, die wievielte Revision gerade ansteht. Es existiert keine integrierte Strategie. Die Menschen kommen nun einmal, das ist Fakt. Sie stellen ein Asylgesuch und tun das mitunter auch aus ökonomischen Gründen, da müssen wir uns nichts vormachen.

Und wie soll man damit umgehen?
Ich bin für schnelle, effiziente, rechtsstaatliche Verfahren. Ich sehe aber nicht ein, weshalb die Leute zum Beispiel nicht arbeiten dürfen. Es ist einfacher, sie zu integrieren, wenn sie arbeiten. Wenn sie zurückmüssen, hätten sie wenigstens während der Zeit, die sie in der Schweiz verbringen, die Möglichkeit, etwas zu lernen – so profitieren sie und können etwas mit nach Hause nehmen. Es sind oft junge Männer, die monatelang ohne Beschäftigung rumhängen und auf den Entscheid warten. Das ist meiner Meinung nach falsch und unmenschlich. Es trägt auch zu einer Stigmatisierung von Asylsuchenden bei. Sie werden als arbeitsscheu wahrgenommen, obwohl sie gar nicht arbeiten dürfen.

Einige dieser Männer sind unangenehme Zeitgenossen. Was soll man mit ihnen tun?
Es sind ja Sondereinrichtungen für sogenannt Renitente im Gespräch. Ich zweifle, ob das sinnvoll ist. Da stellen sich auch schwierige Fragen: Was bedeutet eigentlich renitent? Wenn jemand über das Essen meckert? Wenn jemand laut und unflätig ist oder aus unserer Sicht keinen angemessenen Respekt zeigt? Da öffnet sich ein neues, weites Streitfeld über die Verhältnismässigkeit.

Wie meinen Sie das?
Es droht eine Kriminalisierung. Denn hätte sich ein sogenannt Renitenter wirklich strafbar gemacht, gäbe es ein strafrechtliches Verfahren. Sie benehmen sich aber vielleicht nur unangenehm, was nicht strafbar ist. Richtet man solche Lager ein, muss man sich fragen, ob das einer strafrechtlichen Sanktion gleichkommt, weil die Freiheit der dort untergebrachten Leute eingeschränkt ist. Da muss man sehr vorsichtig sein. Gleichzeitig ist mir als Ombudsmann sehr bewusst, dass es Probleme gibt.

Können Sie Beispiele geben?
Die jungen Männer aus dem Maghreb haben oft ein völlig anderes Verhalten, wenn sie auf die Staatsmacht stossen, als unsere jungen Männer. Die ordnen sich irgendwann unter, wenn sie es mit der Polizei zu tun haben – Gruppenphänomene einmal ausgenommen. Das ist bei jungen Nordafrikanern nicht unbedingt der Fall, weil sie völlig andere Erfahrungen mitbringen, da die Polizei dort oft willkürlich, repressiv und gewalttätig ist. Wenn die jungen Männer hier ihren Frust loswerden, sind die Grenzen, eigene Aggressionen abzureagieren, eher weit gesetzt. Da habe ich als Ombudsmann auch Verständnis für die Polizisten, die sich plötzlich in komplexen Gewaltsituationen wiederfinden und ruhig Blut behalten sollten. Ein Rezept, wie mit den zum Teil massiven Aggressionen gegen Polizisten verhältnismässig umzugehen ist, habe ich aber nicht.

Dieter von Blarer (57) hatte zwischen 1986 und 2002 in Aesch BL eine eigene Anwaltspraxis. Zwischen 1999 und 2005 war er in verschiedenen Funktionen für den Expertenpool zivile Friedensförderung im Kosovo und in Zentralasien tätig. Seit 2006 ist er Ombudsmann der Stadt Basel, Ende 2013 legt er dieses Amt nieder.