Durch den Monat mit Dieter von Blarer (Teil 3): Was haben Sie von Pietro gelernt?

Nr. 25 –

Nimmt einer seine Hände nicht aus dem Hosensack, kann es passieren, dass er bei Ombudsmann Dieter von Blarer landet. Dieser erklärt ihm dann, warum ein Polizist wissen muss, was einer in Händen hält.

Dieter von Blarer: «Mein Vater sass mit dem Fabrikarbeiter Pietro auf den Bäumen, sie pflückten Kirschen und diskutierten stundenlang über Politik. Und ich hörte fasziniert zu.»

WOZ: Dieter von Blarer, kommen mehr Männer als Frauen auf die Ombudsstelle?
Dieter von Blarer: Es sind fast gleich viele Frauen wie Männer. Fast neunzig Prozent sind zwischen 21 und 65 Jahre alt. Es ist also die aktive Bevölkerung, die bei uns Hilfe sucht.

Die Stelle wurde extra mit einem Mann und einer Frau besetzt. Kommt es oft vor, dass eine Frau explizit zu Ihrer Kollegin möchte?
Erstaunlicherweise passiert das sehr selten. Es gab aber schon das Umgekehrte, weil eine Frau einen Konflikt mit ihrer Vorgesetzten hatte und lieber von einem Mann beraten werden wollte, weil sie glaubte, ein Mann sei in ihrem Fall unbefangener.

Sie sind nun seit acht Jahren im Amt. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?
Zuhören ist die halbe Lösung. Das gilt für beide Seiten – auch für die Verwaltung. Die Wahrnehmungen der beiden Parteien sind oft sehr verschieden. Wenn wir es schaffen, Verständnis für die Wahrnehmung der jeweils anderen Seite aufzubauen, ist schon viel erreicht.

Können Sie ein Beispiel geben?
Da fühlte sich jemand bei einer Kontrolle durch einen Polizisten unfair und grob behandelt. Der Polizist hatte von ihm gefordert, er solle die Hand aus der Hosentasche nehmen. Wenn ich der Person klarmachen kann, dass der Polizist dies verlangte, weil er Angst hatte, da sei eine Waffe versteckt, wird nachvollziehbarer, warum er dezidiert war. Umgekehrt muss ich dem Polizisten zurückspiegeln, was er auslöst, wenn er die Leute grob anherrscht.

Gibt es oft Klagen über die Polizei?
Nein, laut unseren statistischen Auswertungen nicht. Wir behandeln im Jahr über 500 Fälle. Etwa zwanzig Prozent betreffen das Sicherheitsdepartement von Basel-Stadt, dazu gehören neben der Polizei das Migrationsamt, die Rettung und die Feuerwehr. Die Polizei selber hat 50 000 bis 60 000 Kundenkontakte im Jahr. Die meisten Probleme werden schon über die Beschwerdestelle der Polizei geklärt. Nur noch wenige Fälle kommen bis zu uns. Manchmal weisen aber auch die Behörden selbst Fälle an uns, weil sie allein nicht mehr weiterkommen.

Sie hören Ende 2013 auf. Haben Sie genug?
Acht Jahre sind eine gute Zeit. Ich habe viel gelernt und gesehen, möchte jetzt aber auch nochmals etwas Neues machen. Ähnlich wie mein Vater. Er war auch Jurist und hat jahrelang für die Industrie gearbeitet, mit 57 beschloss er, eine eigene Anwaltskanzlei zu eröffnen. Das fand ich gut.

Sie haben den Militärdienst verweigert, waren Flüchtlingsanwalt und gelten als Linker. Wie wurden Sie politisiert?
Ich stamme aus einem CVP-Umfeld. Mein Grossvater mütterlicherseits war lange Jahre Regierungsrat im Kanton Schwyz. Mein Cousin sass bis vor zirka drei Jahren noch in der Schwyzer Regierung. Mein Grossvater auf Vaters Seite, Karl von Blarer, sass fünfzig Jahre im Landrat von Baselland. Mein Vater war dann «nur» Gemeindepräsident von Aesch. Auch er gehörte der CVP an, war aber sozial eingestellt. Zu den Gewerkschaftern im Dorf hatte er eine gute Beziehung, und er sprach immer mit Hochachtung von ihnen. Ich wuchs in einer sehr liberalen Umgebung auf. Die Linken waren kein rotes Tuch, wenn auch nicht gerade die nächsten Verbündeten. Ich erinnere mich noch gut, wie mein Vater während der Kirschenernte mit Pietro politisiert hat …

… Pietro?
Pietro war ein Fabrikarbeiter aus Italien, der an den Wochenenden im Rebbaubetrieb gearbeitet hat. Er wählte immer die Kommunisten und schwärmte gleichzeitig von Mussolini. Die beiden Männer sassen auf den Bäumen, pflückten Kirschen und diskutierten stundenlang über Politik. Und ich hörte fasziniert zu.

Was haben sie von der 68er-Bewegung mitbekommen?
1968 war ich in Engelberg im Internat. Da wurde viel über Schülerdemokratie und Mitsprache debattiert. Es waren spannende Auseinandersetzungen, weil das Internat zu jener Zeit noch relativ autoritär geführt wurde. Ich bin dann auch rausgeflogen.

Wie kam das?
Ich war nicht der beste Schüler, aber vor allem ging ich abends oft illegal in den Ausgang. Alle wussten das. Einigen Lehrern gefiel es gar nicht, und sie gaben mir extra schlechte Noten. So wurde das jedenfalls vom Deutschlehrer berichtet. Der Rektor meinte sogar, ich sollte besser Maurer werden. Ich wechselte dann in die Freie Evangelische Schule in Basel. Das Gymnasium hatte mit Religion nichts mehr zu tun, wir hatten sogar einen kommunistischen Theologen, der in der Partei der Arbeit war und mit uns Marx und Lenin las.

Führte das zur Dienstverweigerung?
Nein, das hatte eher mit einer Reise zu tun. 1978 war ich in Brasilien, das war am Ende der brasilianischen Militärdiktatur. Man spürte noch, was es bedeutet, wenn das Militär gegen innen eingesetzt wird. Danach entschied ich mich, den zweiten militärischen Wiederholungskurs zu verweigern, die Rekrutenschule und einen WK hatte ich schon hinter mir.

Dieter von Blarer (57) hatte zwischen 1986 
und 2002 in Aesch BL eine eigene Anwaltspraxis. Zwischen 1999 und 2005 war er in 
verschiedenen Funktionen für den Expertenpool zivile Friedensförderung im Kosovo und in Zentralasien tätig.