Stadt Zürich: Nach zehn Metern war Schluss

Nr. 24 –

Die Polizei löste am Abstimmungssonntag eine spontane Demonstration gegen eine rigide Asylpolitik gewaltsam auf.

Am letzten Sonntagabend schossen Grenadiere der Stadtpolizei Zürich auf dem Helvetiaplatz mit Gummischrot eine Versammlung und einen spontanen Protestzug linker DemonstrantInnen zusammen. Rund 150 Menschen hatten sich formiert, um gegen die Asylgesetzverschärfungen ein Zeichen zu setzen.

Es war eine Demo, die sich bunt und nicht militant präsentierte: Künstler, Politaktivistinnen, Sans-Papiers, ein Jackettträger mit SP-Pin. Darunter nicht wenige, die den Alternativen Richard Wolff in den Stadtrat gewählt hatten – seit dem 1. Juni ist Wolff Polizeivorsteher. Aus den Boxen auf dem Leiterwagen kam Rapmusik, zwei Redner kritisierten die Asylpolitik.

Schüsse in die Menge

Der Einsatzleiter teilte den DemonstrantInnen mit, man dulde nur eine Platzkundgebung. Dem widersetzten sich nach einer halben Stunde zwanzig Personen. Sie hielten ein Transparent hoch, und ein Mann rief den Polizisten über Megafon zu: «Macht uns den Weg frei. Studiert eure Rechte, das ist eine Spontandemo! Wir dürfen laufen, und ihr dürft uns nicht daran hindern!» Die Antwort war eine Ladung Pfefferspray in die Augen eines Aktivisten der Autonomen Schule.

Nach zehn Metern war dann ganz Schluss. Aus wenigen Metern Entfernung schoss ein Polizist eine Gummischrotsalve ins Transparent, die Demonstranten rannten zurück zum Helvetiaplatz, wo die restlichen Versammelten, die der polizeilichen Weisung Folge geleistet hatten, inzwischen vom Wasserwerfer unter Beschuss genommen wurden. Der Soundleiterwagen wurde beschlagnahmt. Polizisten luden die Boxen in ein Polizeiauto, den Leiterwagen warfen sie vor dem Bezirksgebäude ins Gebüsch. Am Schluss drehten sich zwei Polizisten im Weggehen noch einmal um – ein junger Mann hatte einen der beiden mit Wasser angespritzt – und schossen aus drei Metern in die Menge. Die Umstehenden rannten davon im Glauben, hier sei Gummischrot verschossen worden. Tatsächlich war der Boden danach mit Gummigeschossen übersät.

Polizeisprecher Marco Cortesi widerspricht: «Ich selbst war zwar nicht vor Ort», sagt er. «Aber was Sie als Gummischrotsalve empfunden haben, das müssen Leerschüsse gewesen sein, um Distanz zu schaffen. Bei einem Leerschuss gibt es bloss einen lauten Knall. Wenn man aus drei Metern Entfernung mit Gummischrot getroffen würde, wäre man verletzt. Polizisten wissen, dass dies nur in absoluter Notwehr erlaubt ist. Sie kennen die Mindestdistanz: zwanzig Meter.» Aufgrund verschiedener Faktoren habe man am Sonntag entschieden, nur eine Platzkundgebung zu dulden. «Das haben wir den Demonstranten so mitgeteilt. Als sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte – vorneweg einige Vermummte –, mussten wir einschreiten.»

Eigentlich hatte der Schreibende nicht mit Cortesi, sondern mit Polizeichef Wolff über die Verhältnismässigkeit des Einsatzes und über den künftigen Umgang mit Spontandemonstrationen sprechen wollen. Und auch darüber, wie er den drohenden Konflikt mit Teilen des eigenen Milieus entschärfen will. Im Internet kursiert für Samstag ein Aufruf zu einer Demonstration: «Diese Asylpolitik tötet!» Obwohl der Anlass mit Sicherheit bewilligt würde, heisst es im Aufruf: «Wir fragen nicht um Bewilligungen, weil wir den Staat als Treiber und Profiteur der Asylpolitik um nichts bitten.»

Kritik an Polizeieinsätzen

Das kann auch als Provokation gegen Richard Wolff gelesen werden: Die Partei des Polizeivorstehers ist bekannt für ihre stete Anwaltsarbeit etwa in Sachen Bürgerrechte und Asylpolitik – und auch für ihre regelmässige Kritik an Polizeieinsätzen. Das soll sich wegen des eigenen Manns im Stadtrat nicht ändern: So ist es ausgerechnet die AL-Anwältin und Wolff-Unterstützerin Manuela Schiller, die nun FCZ-Fans vertritt, die bei einem Einsatz der Stadtpolizei im vergangenen Mai verletzt wurden. Die Fussballfans werfen der Stadtpolizei vor, Polizisten hätten sie bei einem friedlichen Fanmarsch unvermittelt und ebenfalls aus wenigen Metern Entfernung mit Gummischrot beschossen.