Digitale Revolutionen 2: Zuerst der Download, dann das Vinyl

Nr. 42 –

Die Postjazzformation Rusconi war bei einem Majorlabel unter Vertrag und wählte dann die Unabhängigkeit. Bassist Fabian Gisler über Community Building und andere Aspekte der digitalen Selbstvermarktung.

WOZ: Fabian Gisler, die Gruppe Rusconi gibt es seit zwölf Jahren. Wo liegen die Anfänge?
Fabian Gisler: Zu Beginn spielten wir Stücke von Stefan Rusconi. Heute schreibt unser Schlagzeuger Claudio Strüby genauso Stücke wie ich und Stefan. Anfangs klangen wir noch wie andere Jazzpianotrios; mittlerweile haben wir unsere eigene musikalische Sprache gefunden. Die lange Zusammenarbeit trägt Früchte.

Nach zwei Alben für kleine Labels seid ihr dann zunächst bei Sony Germany gelandet – ein erstaunlicher Coup. Wie kam es dazu?
Wir wollten nicht nur zusammen Musik machen, sondern etwas bewegen – weiterkommen! Über unsere Agentur kam der Kontakt zu Sony zustande. Unser Album «One Up Down Left Right» ist dann dort erschienen, was unsere Bekanntheit steigerte. Wir hatten einen guten Deal, der uns künstlerische Freiheit gewährte. Es war eine fruchtbare Zusammenarbeit. Bei unserem nächsten Album, «Sonic Life», mit Stücken der Indierockband Sonic Youth haben wir allerdings gemerkt, dass wir mit dem Majorlabel an Grenzen stossen. Es ist ein grosser, langsamer Konzern, wobei auch die Verkäufe nicht gerade durch die Decke gingen. Unsere Alben waren nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz erhältlich. Dazu kamen die Streitigkeiten zwischen der Verwertungsgesellschaft Gema und Youtube, was bedeutete, dass unsere Videoclips, die ein wichtiger Bestandteil unserer Bandidentität sind und mit Preisen ausgezeichnet wurden, in Deutschland nicht im Netz zu sehen waren. Uns wurde klar, dass wir diesen Zustand ändern mussten. Wir haben uns einvernehmlich von Sony getrennt und dann bei unserem Album «Revolution», das vergangenes Jahr erschien, alles selber gemacht, von der Aufnahme bis zum Artwork. Die entscheidende Frage war allerdings: Wie erreichen wir unser Publikum?

Wie geht Rusconi mit den Realitäten des digitalen Zeitalters um?
Die neue Wirklichkeit kann man als Chance begreifen oder sich ihr verweigern. Wir haben uns entschieden, ihre Möglichkeiten zu nutzen. So, wie wir uns jetzt aufgestellt haben, funktioniert das gut. Wir bieten Musik in verschiedener Form und über verschiedene Kanäle an, ganz auf die Unterschiedlichkeit unseres Publikums zugeschnitten. Unser Ziel: möglichst viele Leute auf möglichst vielen Kanälen erreichen.

Konkret bedeutet das: Auf der Internetplattform Bandcamp gibt es unser Album «Revolution» als Download mit Bezahloption. Leute, die Vinyl kaufen wollen, bedienen wir mit unserem eigenen Vinyllabel. Andere erwerben unser Album im Laden als CD. Die CDs werden vom Label Beejazz in Frankreich weltweit vertrieben. Diese Firma bietet das Album ausserdem noch bei iTunes zum bezahlten Download an. Wir erreichen dadurch ziemlich viele Leute und haben bemerkt, dass die Vertriebswege nicht miteinander konkurrieren, sondern sich ergänzen.

Wie sieht die Bilanz in Zahlen aus?
Auf Bandcamp haben wir ungefähr 2700 Downloads gehabt. Das brachte 3500 Franken ein. Es wurde also ungefähr 1.35 Franken pro Album bezahlt. Einige haben nichts bezahlt, andere fünfzig Franken. Daneben wurden dort 160 LPs verkauft. Dazu kommen Vinylverkäufe bei Konzerten: 300 Stück. Mancher lädt sich zuerst das Album herunter und kommt danach ans Konzert, um sich die LP zu holen. Es gibt einen Trend, dass Leute wieder etwas Schönes haben möchten. Es ist eben etwas anderes, einen Download auf dem Handy zu speichern oder eine aufwendig produzierte LP in den Händen zu halten.

Zu den LP-Verkäufen und Downloads kommen 3000 verkaufte CDs und noch einmal 900 Downloads bei iTunes. Da kommt schon etwas Geld zusammen. Natürlich geht es nicht ohne Kulturförderung. Ausser DJ Bobo trägt sich in der Schweiz kaum etwas selbst. Summa summarum hat das Album seine Kosten eingespielt, sogar einen kleinen Gewinn von 8000 Franken erzielt, der in die nächste Produktion einfliesst. Es war das erste Mal, dass wir mit einem Album ein Plus erwirtschaftet haben.

Wie kommen Sie an potenzielle Kunden heran?
Jeder, der auf Bandcamp unsere Musik herunterlädt, muss seine E-Mail-Adresse hinterlassen, was für uns sehr wichtig ist, weil so ein Adressenpool von 5000 Leute entstanden ist. Wir brauchen eine Community, Leute, die uns unterstützen. Wir pflegen den Kontakt mit unseren Fans, verschicken regelmässig einen Newsletter mit Tourdaten und anderen Neuigkeiten.

Verglichen mit Ihrer Zeit bei Sony, stehen Sie heute besser oder schlechter da?
Unabhängiger! Unser Modell ist genau auf uns zugeschnitten. Es würde nicht bei jeder Band funktionieren. Voraussetzung ist: Man muss bereits einen gewissen Namen haben. Für Newcomer haut das nicht hin. Wir haben zehn Jahre an unserer Karriere gearbeitet. Allerdings halten wir nun selbst alle Fäden in der Hand. Wenn du bei einem Label bist, ein Management hast und die dich fallen lassen, stehst du völlig nackt da. Das war das alte Modell: Du gibst alles ab, bist ein glücklicher Musiker, kannst dich aufs Üben und Komponieren konzentrieren und musst dich um nichts anderes kümmern. Der Preis dafür ist vollkommene Abhängigkeit, was uns heute absurd erscheint, weil es selbst bei den grossen Labels kaum noch Geld zu verdienen gibt.

Wie gross ist der Aufwand des Selbermachens?
Beträchtlich. Wir praktizieren eine Aufgabenteilung in der Band und sind jeden Tag in Kontakt miteinander, weil viel Arbeit anfällt. Doch es macht Spass, sein eigenes Modell zu entwickeln. Auf der anderen Seite ist es einfach Realität: Es gibt keine fantastischen Plattendeals mehr. Man verkauft keine Massen von CDs mehr – diese Zeiten sind vorbei. Selbst die grössten Jazzstars in Europa verkaufen vielleicht noch 15 000 CDs – das ist es dann aber auch. Wir ziehen daraus den Schluss: Wenn man im digitalen Zeitalter als Musiker durchkommen will, muss man intensiv Community Building betreiben, was das Netz ermöglicht. Dazu kommt der Kontakt zu den Fans bei Konzerten. Nach jedem Auftritt gehen wir raus, verkaufen unsere Scheiben, signieren Platten, reden mit den Leuten, knüpfen Kontakte. Das ist ein entscheidender Punkt.

Im Gegensatz zur Musikindustrie, in der Untergangsstimmung herrscht, scheinen Sie optimistischer in die Zukunft zu blicken.
Jammern hilft ja nichts, man muss sich der Wirklichkeit stellen. Mein Rat an junge Musiker wäre: Es lohnt sich, mit einer Band langfristig zu arbeiten. Im Jazz lösen sich ja die meisten Gruppen nach kurzer Zeit wieder auf. Dann kommt das nächste Projekt. Wie will man mit solcher Flüchtigkeit etwas erreichen, eine Community aufbauen, Auslandskontakte knüpfen? Der Erfolg kommt nicht über Nacht, den muss man sich hart erarbeiten. Doch auch künstlerisch zahlt sich Langfristigkeit aus. Es ist viel befriedigender, mit einem Ensemble über Jahre ein musikalisches Konzept zu entwickeln, als jeden Abend mit einer anderen Ad-hoc-Band aufzutreten. Nur wenn man lange zusammen spielt, kommt man wirklich in eine Tiefe, die kurze musikalische Begegnungen selten haben. Ich weiss, ich kann meinen beiden Bandkollegen vertrauen. Nur so können wir zusammen gute Musik machen.