Kommentar zu Kuba und Venezuela: Reformen im sozialistischen Gang

Nr. 14 –

Der kubanische Staats- und Parteichef Raúl Castro will mit einem Investitionsgesetz die Abhängigkeit von Venezuela mindern. Kuba bietet ausländischen Unternehmen exzellent ausgebildete Arbeitskräfte.

Auf den ersten Blick mag es aussehen wie eine schnell gestrickte Notmassnahme: Venezuela, der hauptsächliche Handelspartner Kubas und Lieferant von 100 000 Fass Erdöl pro Tag, wird seit Wochen von gewalttätigen Protesten erschüttert, die Wirtschaft liegt am Boden. Wenn die Regierung in Caracas fällt, wird sie Kuba mit in den Strudel ziehen.

Soll dieses Risiko gebannt werden, muss Staats- und Parteichef Raúl Castro nach neuen Geldquellen suchen. Das Gesetz zur Erleichterung von Auslandsinvestitionen, das am Wochenende bei einer ausserordentlichen Sitzung der Volkskammer hinter verschlossenen Türen verabschiedet wurde, soll ihm dabei helfen.

Tatsächlich aber war dieses Gesetz schon lange geplant und hätte eigentlich bereits Ende 2012 in Kraft treten sollen. Dass es nicht gesund ist, so sehr von einem Partner abhängig zu sein – mit Venezuela wickelt Kuba rund vierzig Prozent seines Aussenhandels ab –, weiss Raúl Castro schon viel länger: Bei der Suche nach Erdöl vor seiner Küste arbeitet Kuba nicht etwa mit dem venezolanischen Staatskonzern PDVSA zusammen, sondern mit Petrobras aus Brasilien. Auch den neuen Hochseehafen von Mariel samt der dazugehörenden freien Produktionszone hat mit Odebrecht ein brasilianischer Konzern gebaut. Der Koloss aus dem Süden ist ein geradezu idealer Partner als Ergänzung zum ideologisch kompatibleren Venezuela: Er ist wirtschaftlich stärker und stabiler und importiert inzwischen das wichtigste Exportprodukt der sozialistischen Insel – kubanische ÄrztInnen – im Tausenderpack.

Bislang ist nur der Rahmen des neuen Investitionsgesetzes bekannt, das die Regeln über Joint Ventures aus dem Jahr 1995 ablöst. Diese hatten für die kubanische Staatswirtschaft eine Anteilsmehrheit von mindestens 51 Prozent vorgeschrieben. Jetzt sind Unternehmen mit bis zu hundert Prozent ausländischem Kapital möglich. Denen wird für mindestens acht Jahre Steuerfreiheit gewährt, danach sollen die Gewinne mit fünfzehn statt bislang dreissig Prozent besteuert werden. Nur wer in Bodenschätze oder in die Landwirtschaft investiert, muss bis zu fünfzig Prozent abführen. Alles, was nach Steuern übrig bleibt, kann problemlos ins Ausland transferiert werden. Enteignungen soll es nur noch in absoluten Ausnahmefällen geben, und wenn, dann werden die Enteigneten nach internationalen Standards entschädigt. Prinzipiell können AusländerInnen überall investieren – ausser ins Bildungs- und ins Gesundheitswesen und in die innere und äussere Sicherheit.

Das klingt für KapitalistInnen verlockend und fast schon ein bisschen neoliberal. Aber es gibt ein paar Haken. Zum einen die kubanische Bürokratie: Die hatte unter dem alten Joint-Venture-Gesetz schon viele InvestorInnen vertrieben. Von 400 gemeinsamen Unternehmen in den besten Zeiten im Jahr 2002 sind heute nur 200 übrig geblieben. Etwas vage heisst es nun, die Bürokratie werde vereinfacht und transparenter gestaltet. Aber da ist auch ein Eingriff in das, was KapitalistInnen als Unternehmensfreiheit verstehen: Sie dürfen nicht einstellen, wen sie wollen, sondern nur diejenigen, die über eine staatliche Arbeitsagentur angeboten werden. Mit dieser Agentur muss auch die Bezahlung ausgehandelt werden.

In anderen armen Ländern, die um Auslandsinvestitionen buhlen, gibt es solche Einschränkungen nicht. Dort gilt gemeinhin: Wer am billigsten ist und am wenigsten reguliert, bekommt die Fabrik. Wie will Kuba da Investitionen von mindestens zwei Milliarden US-Dollar im Jahr anlocken, die laut Vizepräsident Marino Murillo nötig sind, um «das sozialistische Modell voranzubringen»? Ganz einfach: Kuba konkurriert nicht mit Bangladesch oder Haiti um Lohnnähereien oder einfache Montagebetriebe. Das Land kann nach 55 Jahren sozialistischer Bildungspolitik mit einem Pfunde wuchern, das andere nicht haben: exzellent ausgebildete Menschen, die viel mehr können als einfachste Arbeiten verrichten. Die Insel ist nichts für SchnäppchenjägerInnen, für Schwalbenkapital, das davonflattert, wenn anderswo niedrigere Lohnkosten locken. Raúl Castro setzt auf langfristige Investitionen und Qualität.

Ob das schnell geht, ist fraglich. Aber auch Castros andere Wirtschaftsreformen kommen viel langsamer voran, als sie zunächst angekündigt waren. Und doch zeigen sie erste Erfolge: Das zerfallende Zentrum von Havanna wird seit der Privatisierung von Grund- und Hausbesitz Strasse für Strasse renoviert, die freien Märkte quellen über vor Lebensmitteln, der vorher dröge Dienstleistungsbereich floriert, seit in fast 200 Berufen auf eigene Rechnung gearbeitet werden darf. Aber auch soziale Unterschiede sind seither viel sichtbarer geworden.

Da lauert Gefahr für den Sozialismus. Es reicht nicht, immer mehr Mechanismen der Marktwirtschaft einzuführen. Man muss sie auch sozial ausbalancieren. Castro scheint das zu wissen und bremst immer wieder seinen Reformeifer. Eben deshalb wurde das Gesetz über Auslandsinvestitionen nicht als schnelle Notmassnahme verabschiedet.