Schweizerische Aussenpolitik: Opportunistische Neutralität
Die Neutralität in Person. Als Didier Burkhalter letzte Woche die Position der Schweizer Regierung im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland darlegte, machte er es eigentlich allen recht. Der Aussenminister und Bundespräsident bezeichnete die Annexion der Halbinsel Krim durch Russland als das, was sie ist: als völkerrechtswidrig. Er ergänzte, dass sich die Schweiz trotzdem nicht aktiv an Sanktionen beteilige, sondern nur dafür sorgen wolle, dass die punktuellen EU- und US-Sanktionen nicht via Schweiz umgangen werden können. Schon vorher waren die Gelder des gestürzten ukrainischen Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch, Lieferungen von Kriegsmaterial an Russland sowie die Verhandlungen für ein russisch-schweizerisches Freihandelsabkommen eingefroren worden.
Das ist so korrekt wie langweilig – neutral eben. Doch die SVP versucht, durch laute Kritik an «Bundesbern» die Hoheit über die Auslegung des Neutralitätsbegriffs zu gewinnen. Einerseits verurteilen VertreterInnen der Rechtsaussenpartei die völkerrechtlichen Bekundungen des Bundesrats und dessen Vermittlungsbemühungen in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Andererseits würden sie die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen am liebsten nahtlos weiterführen. Beides wegen der Neutralität. Was allerdings an einem bilateralen Handelsregime neutraler sein soll als an der OSZE, in der sowohl die Ukraine als auch Russland Mitglied sind, bleibt das Geheimnis der SVP.
Die Partei wirft der politischen Konkurrenz «aktive Neutralität» vor, und das sei eigentlich gar keine echte Neutralität. Echte Neutralität muss demnach irgendwie passiv sein. Dass dies auch wirtschaftliche Zurückhaltung bedeuten müsste, negiert die SVP – vielmehr will sie politischen Isolationismus mit wirtschaftlichem Internationalismus verbinden. Das ist eine Strategie, die die Schweiz politisch und wirtschaftlich verwundbar macht.
Dass dies ein Stück weit bereits Realität ist, beklagte SVP-Bundesrat Ueli Maurer letztes Jahr, als er in die Rolle des Bundespräsidenten schlüpfen musste, immer wieder auf internationalem Parkett: Rührend bat er «die grossen Staaten», den «Schwächeren» Schutz zu gewähren. Damit berief er sich auf jenes internationale Recht, das die SVP sonst zum Schaden der Schwächeren zutiefst verachtet.
So korrekt das Verhalten der Regierung in der aktuellen Krise ist, so opportunistisch ist die schweizerische Neutralitätspolitik im Allgemeinen. Nicht nur die SVP klammert wirtschaftliche Aktivitäten aus der Neutralität aus, dies tun auch weite Teile der FDP und der CVP. Das wahre Reputationsrisiko für die Schweiz liegt sicher nicht in verhaltener politischer Aktivität, sondern insbesondere im Waffenexport. Dort spielt die Schweiz ganz vorne mit.
Jahr für Jahr verkauft sie militärische Güter im Wert von über einer Milliarde Franken in die halbe Welt. Auch an Staaten, die massiv Menschenrechte verletzen oder in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, was nach geltender Kriegsmaterialverordnung verboten wäre. Das Parlament hat mitten in der Krimkrise gar Bestimmungen aufgeweicht, die erst 2008 leicht verschärft worden waren, um die Volksinitiative für ein Waffenexportverbot zu bekämpfen.
Selbst wenn ein Land zum Zeitpunkt der Waffenlieferung als unproblematisch erscheint, kann sich die Situation rasch ändern – etwa in der Ukraine, wo Schweizer Hochpräzisionsgewehre gegen DemonstrantInnen eingesetzt wurden. In jedem Fall lässt sich kaum kontrollieren, was ein Empfängerstaat mit den Waffen macht und an wen er sie allenfalls weitergibt – so sind Handgranaten aus der Schweiz kistenweise bei islamistischen Milizen in Syrien gelandet.
Das alles verträgt sich schlecht mit jeder Definition von Neutralität. Waffenlieferungen an Konfliktparteien sind gemäss Neutralitätsrecht illegal. Doch das stört offenbar auch die selbst ernannte Hüterin der «echten Neutralität» nicht. Die SVP, die sich nun gegen jegliche Bindung an die Nato auflehnt, hat sich bisher jedenfalls nicht dafür starkgemacht, Waffenexporte an regelmässig kriegführende Nato-Staaten wie die USA oder Britannien zu verbieten.