Britannien: Im Sinn des grossen Vorsitzenden Bob

Nr. 17 –

Neue Streiks in Londons U-Bahn, zahllose Urabstimmungen, immer mehr Mitglieder: Die RMT ist eine der erfolgreichsten Gewerkschaften Europas.

Den Schock konnten sie rasch überwinden. Zwei Wochen lang trauerten die Mitglieder und FunktionärInnen der Transportgewerkschaft National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT) um ihren Generalsekretär Bob Crow (52), der Mitte März unerwartet verstorben war. Sie folgten zu Tausenden dem Trauerzug, hängten ein grosses schwarzes Transparent an das Gewerkschaftshaus in London und legten Kondolenzbücher auf, die sich schnell füllten. Danach aber war wieder «business as usual». «Im Gedenken an Bob setzen wir das fort, was seine zwölf Jahre als Generalsekretär ausgezeichnet hat», sagt RMT-Sprecher Geoff Martin in der Gewerkschaftszentrale, «den konsequenten Kampf für die Interessen der Mitglieder.»

Dieser Kampf wird kommende Woche wieder für Schlagzeilen sorgen. Ab Montagabend steht – falls das städtische Verkehrsunternehmen Transport for London (TfL) nicht einlenkt – der gesamte U-Bahn-Verkehr der Hauptstadt für zwei Tage still. Und ab Dienstagmorgen bleiben die Züge zum Flughafen Heathrow 48 Stunden lang in den Depots.

Mit dem Ausstand wiederholen die U-Bahn-Beschäftigten ihren zweitägigen Streik von Anfang Februar, der bemerkenswert populär war. Selbst die vielen PendlerInnen, die vor verschlossenen Tube-Stationen standen, zeigten Verständnis, hatten doch TfL und der Londoner Oberbürgermeister Boris Johnson, der als Nachfolger von David Cameron gehandelt wird, die Schliessung aller Fahrkartenschalter angekündigt: 950 Stellen sollen abgebaut werden. Weniger Personal in den Bahnhöfen aber, das wissen die LondonerInnen, bedeutet weniger Sicherheit und Hilfe – vor allem bei Unfällen oder Anschlägen wie jenen im Juli 2005. «Wir haben die PR-Schlacht gewonnen», sagt Geoff Martin, «und werden wieder gewinnen.» Mit Ständen in der Stadt, mit Flugblattaktionen und Demonstrationen vor Johnsons Büro hatten die RMT-AktivistInnen die Öffentlichkeit überzeugen können. Nach den zwei Streiktagen im Februar signalisierte TfL Verhandlungsbereitschaft, doch die Gespräche führten zu keinem Ergebnis. Daher der neue Ausstand, der vom 6. bis 8. Mai wiederholt werden soll.

Über 200 Jobs in Gefahr

Zugute kommt der RMT dabei der grosse Ärger der Bevölkerung über die Bahnprivatisierung. Seit der Zerschlagung und dem Verkauf von British Rail vor zwanzig Jahren fordert eine massive Mehrheit eine Wiedervergesellschaftung des öffentlichen Verkehrs, darunter den auf der beliebten, aber horrend teuren Strecke zum Flughafen Heathrow. Hier will der private Betreiber demnächst das gesamte Begleitpersonal auf den Zügen streichen. Über 200 Jobs sind in Gefahr, die Hälfte der Belegschaft. Neunzig Prozent der betroffenen RMT-Mitglieder votierten für die Arbeitsniederlegung.

Und das sind längst nicht alle Aktionen der RMT. Anfang April streikte das Putzpersonal von Merseyrail (Liverpool) gegen das miserable Entgelt auf Mindestlohnniveau. Einen Tag später begann eine Urabstimmung der Beschäftigten des Bahnunternehmens First Great Western, die gegen Leiharbeit und den Tagelohn bei Subfirmen protestieren. Und eine Woche darauf beschlossen die WartungsarbeiterInnen von Bahnunternehmen im Norden Englands mehrtägige Streiks. Wann immer die Basis zum Konflikt bereit ist, unterstützen wir die KollegInnen – das war das Motto von Bob Crow, und das hat die RMT zur am schnellsten wachsenden Gewerkschaft Britanniens gemacht. Innerhalb von Crows Amtszeit (2002–2014) stieg die Mitgliederzahl von 57 000  auf über 80 000, ein Plus von vierzig Prozent.

Eine Kaderschmiede in Doncaster

Dass fast jede Woche irgendwo im zersplitterten Bahnwesen eine Urabstimmung stattfindet (meist mit hohen Zustimmungsraten), ist mittlerweile fester Bestandteil der RMT-Strategie. «Damit zeigen wir, wie zornig ihre Beschäftigten sind», sagt Martin, «viele Firmen lenken dann ein und lassen mit sich verhandeln.»

So konfliktbereit waren die BähnlerInnen nicht immer. Zu den Zeiten von British Rail hatten sie mit nur einem – staatlichen – Unternehmen zu tun. Erst die Privatisierung und mit ihr die Massenentlassungen, die Ausgliederungen, die Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen machten aus ihrem eher behäbigen Verband eine flexibel agierende, handlungsstarke Organisation, die sich inzwischen als «antikapitalistische Gewerkschaft» (Martin) versteht. Und die erfahrene Leute rekrutiert.

RMT-Sprecher Martin hatte früher im kulturellen Bereich (etwa beim Glastonbury Festival) für den gewerkschaftlichen Solidaritätsgedanken mobilisiert, und Andy Gilchrist war einst ein führender Gewerkschafter der britischen Feuerwehrleute, bevor er die RMT-Akademie in Doncaster übernahm. «Die Elite weiss, wie wichtig Ausbildung ist», sagt er, «viele Arbeiter hingegen haben zu wenig Ahnung von den politischen und ökonomischen Zusammenhängen in dieser Klassengesellschaft.» Weiterbilden, agitieren, organisieren: Das sei doch schon immer das Konzept der Arbeiterbewegung gewesen. Im Zentrum werden jährlich 450 RMT-AktivistInnen geschult; sie bilden die Basis der Mobilisierungsstrategie. Jetzt wird dessen Kapazität verdoppelt.