Fussball und andere Randsportarten: «Here comes the story …»

Nr. 18 –

Etrit Hasler sucht nach HeldInnenverehrung in Bob-Dylan-Songs

Vielleicht ist es ja ein Zeichen, dass ich alt werde. Vielleicht liegt es ja an der Jahreszeit. Zumindest bekomme ich in letzter Zeit das Gefühl, meine Texte wie auch mein Leben seien eine Aneinanderreihung von Nachrufen.

Aber vielleicht liegt das auch in der Natur der Sache, wenn man über Sport schreibt. Wenn wir davon ausgehen, dass Sport eigentlich nur die Fortsetzung des Kriegs in spielerischer Form ist, mit seiner HeldInnenverehrung, seiner Mythologisierung, seiner Dramatisierung, selbst in seiner Rhetorik, dann unterscheidet sich auch die Erzählung über den Sport irgendwann nicht mehr von, sagen wir zum Beispiel, einer Liste gefallener SoldatInnen.

Klingt übertrieben? Mag sein. Aber lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Rubin Carter, besser bekannt als «Hurricane». Ja, der aus dem gleichnamigen Film, der von Denzel Washington gespielt wurde. Oder – für diejenigen unter Ihnen aus der Generation davor – der aus dem Bob-Dylan-Song. Die Geschichte kennen Sie also wahrscheinlich schon. «Here comes the story of the Hurricane»: Carter, ein halbwegs erfolgreicher Mittelgewichtsboxer, wurde 1967 als Schwarzer von einer weissen Jury wegen Mord für schuldig befunden und zu dreifach lebenslänglicher Haft verurteilt. Zwei Schwarze waren in New Jersey in eine Bar gestürmt und hatten um sich geschossen – Carter hatte das Pech, dasselbe Automodell wie die Täter zu fahren und dieselbe Hautfarbe zu haben. Nachdem er neunzehn Jahre abgesessen hatte, wurde er in einem inzwischen dritten Verfahren aus der Haft entlassen und verbrachte den Rest seines Lebens als Kämpfer gegen Rassismus und für unrechtmässig Verurteilte.

Eine Heldengeschichte. So schnell geht das. So hat das Bob Dylan auch gemacht: «The man the authorities came to blame / For somethin’ that he never done.» Wobei die Heldengeschichte von George Lois skizziert wurde, dem grössenwahnsinnigen Werbeguru, der von sich selbst behauptet, vom «New York Magazine» bis zur «I want my MTV»-Kampagne so ziemlich alles erfunden zu haben, was jemals auf einer Werbefläche zu sehen war. Lois organisierte Mitte der siebziger Jahre eine Solidaritätskampagne für Hurricane Carter, die dazu führte, dass sich Prominente wie Muhammad Ali und eben Bob Dylan für Carter einsetzten.

Bleiben wir bei den Fakten. Hurricane Carter war tatsächlich Opfer eines rassistischen Systems. Heute gehören in den USA Prozesse, in denen ein Schwarzer von einer ausschliesslich weissen Jury verurteilt werden kann, der Vergangenheit an. Und das ist nicht zuletzt Carters Verdienst. Ob ihn das schon zum Helden macht? Bevor er seine Karriere als Boxer startete, war er ein Kleinkrimineller, der wegen Diebstahl und Raub bereits vier Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Als er verhaftet wurde, hatte er zwei Waffen in seinem Auto, die als Mordwaffen infrage kamen. Und als er kurz vor seinem zweiten Prozess für kurze Zeit aus der Haft entlassen wurde, prügelte er angeblich eine Frau in einem Hotelzimmer bewusstlos – was dazu führte, dass die Solidaritätskampagne in kürzester Zeit in sich zusammenfiel.

Es ist bis heute unklar, ob Carter die Verbrechen, die ihm zur Last gelegt wurden, begangen hat oder eben nicht. Die verklärende Verfilmung seiner Lebensgeschichte 1999 führte zu massiver Kritik – so wurden die Filmemacher etwa von Joey Giardello verklagt, Hurricanes Gegner in dessen einzigem Weltmeisterschaftskampf: Der Film stellt die These auf, auch in diesem Kampf sei Carter Opfer von Rassismus geworden und habe nur deswegen verloren – eine Behauptung, die Carter selbst immer von sich wies.

War Rubin Carter nun ein Held? Ich habe im echten Leben nur wenige HeldInnen getroffen, und die wenigsten von ihnen hatten mit Sport zu tun. Rubin «Hurricane» Carter verstarb am 20. April 2014 an Prostatakrebs. Und die Erinnerung an ihn ist wichtig, egal ob er nun ein Held war oder nicht.

Etrit Hasler wäre eigentlich froh, wenn er 
in diesem Jahr keine Nachrufe mehr schreiben müsste.