Optimierungsmedizin: Ein Turbo für deinen Kopf

Nr. 18 –

Wie kann die Pharmaindustrie möglichst viele leistungssteigernde Medikamente verkaufen? Die Losung heisst Bio Enhancement.

Aus der Serie «Victor», 2006 © Chantal Michel

Im Englischen ist die Sache konsequent: «drugs», ein Wort gut wie böse. Im Deutschen wird unterschieden zwischen Heil- und Rauschmittel, wobei der Übergang immer fliessend war. Eine neue Entwicklung bringt die Konzepte erst recht durcheinander: Human Enhancement, Optimierungsmedizin.

Normalität als Krankheit

Es geht um Ritalin, Modafinil, Prozac, aber noch um einiges mehr: um das perfekte Geschäftsmodell für die Pharmaindustrie. Die US-Psychiater Glen I. Spielmans und Peter I. Parry haben für das Fachblatt «Bioethical Inquiry» Mails ausgewertet, die zwischen den Forschungs- und den Marketingabteilungen von Pharmamultis hin- und hergingen. «From evidence-based medicine to marketing-based medicine» fassten sie die Ergebnisse des Artikels zusammen, von fakten- hin zu verkaufszentrierter Medizin also. Denn es spielt längst keine Rolle mehr, ob man bei Nike oder bei Roche einen Spitzenposten im Marketing innehat – das Spiel ist dasselbe: Entwickle ein Produkt, dann entwickle den Markt dazu. Je nachdem darf die Reihenfolge auch mal umgekehrt sein.

Aus der Sicht eines Marketingexperten ist der Pharmamarkt ein Albtraum: kleine, spezifische Kundensegmente, zwischengeschaltete ExpertInnen, die über die Verkäufe entscheiden, und meist nur Absatzmöglichkeiten über kurze Zeiträume, bis die PatientInnen wieder gesund sind. Der kranke Mensch ist zwar lukrativ, aber ein lustvoller, mit Werbung zu kitzelnder Konsument ist er nicht. Anders ist es, wenn Medikamente nicht den Zweck haben, einen aus der Balance geratenen Gesundheitszustand wieder «normal» zu machen, sondern wenn schon die Normalität ein Defizit darstellt: Dann können nicht mehr Gesund-, sondern Bessermacher verkauft werden. Da tun sich Märkte auf!

«Wir reden hier nicht über Science Fiction, wir reden über Fortschritte mit erheblichem Einfluss auf unsere Arbeitswelt, und zwar in nächster Zukunft», meint Rechtsprofessorin Genevra Richardson, die einen Beitrag für die englische Academy of Medical Sciences veröffentlicht hat. Wie zum Beispiel können sich Stimulanzien für Angestellte eignen, die manche Aspekte ihrer Arbeit nicht besonders motivierend finden? Das hätte sozialpolitische Folgen: Der Bericht erwähnt das Risiko, dass solche kognitiven Enhancer als Ersatz für ein gesundes Arbeitsumfeld und gute Arbeitsbedingungen angesehen werden könnten. Der Rückversicherungskonzern Swiss Re rechnet damit, dass ein dreiprozentiger Anstieg des Intelligenzlevels der Gesamtbevölkerung ein Wachstum des Bruttosozialprodukts von 1,5 Prozent ergibt.

Freestyle-Forschung

Wirtschaftlich also: allerbeste Aussichten. Das Problem für die Pharmaindustrie ist nur, dass der Medikamentenmarkt stark reguliert ist. Die entsprechenden Pillen, die einen Turbo für den Kopf versprechen, sind zwar auf dem Markt, doch verkauft werden dürften sie nur für spezifische medizinische Indikationen: ADHS, Schlafstörungen oder Ähnliches. Doch es gibt einen Ausweg, «Off-Label-Use» genannt: die von ÄrztInnen abgesegnete Verwendung von Medikamenten ausserhalb von in der Zulassung vorgesehenen Fällen, eine Art pharmakologische Freestyle-Forschung ganz im Sinn von «Schauen wir doch mal, wie es wirkt».

Eine Studie der Uni Zürich hat unlängst zutage gefördert, dass Schweizer Psychiater und Hausärztinnen diesbezüglich beim Human Enhancement ziemlich pragmatisch verfahren. Rund die Hälfte erwog, PatientInnen auch mal «inoffiziell» zu helfen, falls ein Leidensdruck spürbar war. Und der stellt sich natürlich rasch mal ein, wenn der Stress am Arbeitsplatz ständig zunimmt (und der Kollege schon gedopt ist) – im Zusammenhang ist schon vom «enhancement race» die Rede.

Dann ist da noch das Internet. Wie stark die Pharmabranche von diesem Schwarzmarkt profitiert (als Rückimport via Länder mit lascher Regulierung), ist schwer abzuschätzen, viele der Internetpillen dürften Kopien sein, mit ungewissem Gehalt an Wirksubstanz. Die Kontrollstelle Swissmedic sagt, sie könne «aktuell bei Importen von Ritalin oder anderen Mitteln zur ‹Steigerung› der geistigen Leistungsfähigkeit keinen besonderen Trend ausmachen (niedrige, gleichbleibende Zahl von Importen).» Novartis indessen gibt das Unschuldslamm: «Ritalin ist indiziert zu Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen zwischen 6–18 Jahren und sollte nur innerhalb der (…) festgelegten Indikation eingesetzt werden.» Überhaupt: Human Enhancement sei nicht Bestandteil der Novartis-Geschäftsstrategie.

Derweil zeigen Umfragen, dass immer mehr Menschen regelmässig zum Hirndoping greifen. Drop out? Eher: Knie dich rein. Man stelle sich den Doper aber nicht als nüchternen Menschen vor – er erlebt seinen eigenen Rausch, wenn er im Leistungshoch den anderen davonzieht. Jeder Zeit ihre Droge.