Fussball und andere Randsportarten: Geht doch nach Katar!
Etrit Hasler blickt über die Fussballweltmeisterschaft hinaus
Ich weiss, der Moment wäre ideal dafür, so zwei Wochen bevor der organisierte Wahnsinn in Brasilien im teuersten Sportanlass der Welt münden wird, aber ich habe nicht vor, an dieser Stelle die grosse Präfussballweltmeisterschafts-moralstandpauke zu halten. Natürlich habe ich eine solche jederzeit auf Lager, aber falls Sie diese lesen wollen, werden Sie dem Strassenhändler Ihres Vertrauens die WM-Ausgabe des Strassenmagazins «Surprise» abkaufen müssen – ohnehin eine höchst empfehlenswerte Ergänzungslektüre zur WOZ. Sie sehen also, bei so einer WM wird alles zur Werbefläche degradiert – selbst diese Sportkolumne. Aber vielleicht liegt das in der Natur der Sache.
Man muss auch nicht immer und überall im Vorfeld einer WM darauf hinweisen, dass so ein Turnier das Austragungsland in finanzielles Chaos stürzen wird – die öffentliche Hand in Brasilien lässt sich den Spass rund 6,5 Milliarden Euro kosten. Der prognostizierte Gewinn für die Fifa beläuft sich dabei auf rund vier Milliarden Euro. Für die lokale Wirtschaft bleibt nur ein Trinkgeld übrig. Wer das wissen will, weiss es schon.
Es ist nicht einmal ein Problem, dass die ganze Berichterstattung darüber, was schiefgelaufen ist bei der Vorbereitung der WM – die Umsiedlungen, die Todesfälle bei den Bauarbeiten, die Kriminalisierung der StrassenhändlerInnen – mit dem Anpfiff zum Eröffnungsspiel verstummen wird. Das müssen wir verstehen. Wer will das schon hören? Die meisten Menschen wollen sich diesen Sommer zweimal am Tag ein Fussballspiel ansehen, um sich von einer Welt zu erholen, die sonst schon böse genug ist. Oder aber sie wollen gar nichts von Fussball hören und bunkern sich zusammen mit anderen Fussballmuffeln einen Monat lang ein – auch das funktioniert. Die wenigen Beizen, die sich trauen, während der WM explizit keinen Fernseher laufen zu lassen, dürfen sich über ein auffallend gelöstes Publikum freuen.
Problematisch wird all das erst im Nachhinein. Wenn die offenen Rechnungen plötzlich auftauchen. Dann, wenn der Wirtschaftsboom nach so einem Turnier angeblich einsetzen soll – was er nie tut. Dann sind nämlich die aus der ganzen Welt angereisten JournalistInnen wieder weg, und nur ganz selten liest man Jahre später plötzlich etwas – so wie letztes Jahr in der deutschen «Zeit», die nach der WM 2010 in Südafrika noch euphorisch von einem «bleibenden, riesigen Gewinn für das Land» fantasiert hatte und dann 2013 bemerkte, dass die Tourismusindustrie in Südafrika nach dem Turnier um bis zu dreissig Prozent eingebrochen war.
Blicken wir in die Zukunft. Wo findet die nächste Weltmeisterschaft statt? Wenn sie jetzt «Katar» sagen, dann sind sie der Fifa schon auf den Leim gegangen. Denn natürlich reden alle schon seit über einem Jahr über das arabische Zwergemirat, obwohl die WM dort erst 2022 stattfinden soll. Darüber, ob in der brennenden Hitze Katars überhaupt Fussball gespielt werden kann. Oder ob die Vergabe des Turniers nach Katar mit rechten Dingen ablief. Als ob es das jemals getan hätte: Deutschland erhielt die WM damals wegen eines Früchtekorbs von «Titanic»-Redaktor Martin Sonneborn, der letzten Sonntag für Die Partei ins Europaparlament gewählt wurde.
Dabei passt doch so eine WM perfekt in den Ölstaat. Wer, wenn nicht eine steinreiche Monarchie, kann sich so etwas überhaupt leisten? Ja, der katarische Fussballverband hat versprochen, die Stadien auf zwanzig Grad herunterzukühlen – und das CO2-neutral. Klingt verrückt? Kann sein. Aber mit Geld kann man fast alles kaufen – insbesondere eine ausgeglichene Ökobilanz. Also: Geht doch nach Katar! Übrigens, falls Sie sich wundern, wieso die nächste WM-Austragung, also die 2018, noch kein Thema ist: Die findet in Russland statt. Dass darüber im Moment niemand sprechen will, das kann ich (fast) verstehen.
Etrit Hasler wünscht Beni Thurnheer eine fröhliche letzte WM. Falls Sie die Geschichte mit Martin Sonneborn nachlesen möchten: «Ich tat es für mein Land. Wie Titanic einmal die Fussball-WM 2006 nach Deutschland holte: Protokoll einer erfolgreichen Bestechung». Bombus Verlag. München 2005.