Fussball und Nationalismus: Da brechen die Dämme

Nr. 29 –

Dirk Jora, Sänger der Punkband Slime, über linken Nationalstolz, «kranke Arschgeigen» in den Fussballverbänden und die Freude an Costa Rica.

Punkband Slime, vorne Dirk Jora

Anruf bei Dirk Jora in Hamburg. Dieser Mann vereint zwei Dinge: Antinationalismus und Fussballfachwissen. Mit seiner Band Slime schrieb er 1980 die Punkhymne «Deutschland muss sterben», gleichzeitig formte er mit seiner Gang aus dem unbedeutenden Stadtteilverein FC St. Pauli ein Aushängeschild für Antirassismus im Fussball – durch dieses Engagement sah sich der Deutsche Fussballbund (DFB) Ende der achtziger Jahre gezwungen, Neonazis und Reichskriegsflaggen in seinen Stadien nicht mehr zu tolerieren. Was sagt Jora zum Hype um Deutschland und seine Nationalmannschaft?


WOZ: Dirk Jona, die linke «taz» schrieb nach dem Final: «Es wird, im globalen Zuschnitt, nur wenige geben, die dem DFB diesen Sieg nicht gönnen würden. Gewonnen hat das Land mit der längeren demokratischen Tradition.» Gönnen auch Sie dem DFB den Sieg?

Dirk Jora: Was ist denn das für ein verrücktes Statement? Argentiniens Folterdiktatur spielt gegen Deutschlands Holocaust, das eine ist länger her, und schon steht es 1:0 für Deutschland? DFB und Fifa: Das sind doch alles Klopse! Die einen machen Milliardengewinne und schenken Brasilien dafür ein paar drittklassige Bolzplätze. Der DFB wiederum, der noch 1978 in Argentinien im Trainingscamp abgetauchte Nazis offiziell empfangen und die Diktatur gelobt hat, überdeckt 2014 bei der WM-Vorbereitung im Millerntor ein antifaschistisches Transparent. Bei uns im Stadion steht gross und unübersehbar: «Kein Fussball den Faschisten». Der DFB liess das «den Faschisten» abdecken. Da stand dann nur noch: «Kein Fussball». Diese Fussballfunktionäre sind wirklich kranke Arschgeigen.

Sie haben also am Sonntag nicht gejubelt?
Nein. Der deutsche Mob hingegen schon: Die haben auf St. Pauli nach dem Final eine meiner Stammkneipen angegriffen – eine linke Kneipe, versteht sich. Sie attackierten Gäste und schlugen Scheiben ein. Die nationalistischen Aspekte eines solchen Turniers befremden mich wie eh und je. Tierisch nerven mich auch all die «Fans», die zur WM aus dem Boden schiessen und noch nicht mal wissen, was ein Sechser ist. Das sind keine Fussballfans, das sind Deutschlandfans. Die können mir alle gestohlen bleiben mit ihrer Schmiere im Gesicht.

Sie schauen sich die WM-Spiele gar nicht an?
Doch, natürlich. Ich bin Fussballfanatiker. Ich lebe wie viele andere mit dem Widerspruch, dass man eigentlich diesen ganzen Fifa- und Uefa-Wahnsinn boykottieren sollte und es dann doch nicht schafft. Bei einer WM stehen nun mal die besten Spieler der Welt auf dem Platz. Aber ich erkenne auch 69 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz nichts, was an Deutschland «geil» sein soll. Und es stört mich, wie selbst in der Linken an solchen Turnieren nationalistische Dämme brechen. Das gibt jeweils richtig Streit. Ich bin stolz auf meinen FC St. Pauli und was wir damit erreicht haben. Ich bin vielleicht stolz auf meinen Stadtteil und wie die Leute hier versuchen, miteinander klarzukommen. Aber auf Deutschland? Ich bin Norddeutscher. Wäre ich ein paar Kilometer weiter nördlich geboren, wäre ich Däne. Das würde mich übrigens genauso wenig stolz machen. Beides ist keine besondere Leistung.

Sportlich geht der Titel für Deutschland in Ordnung?
Ich freute mich an dieser WM sehr für das kleine Costa Rica, das sensationell spielte und sensationell weit kam. Ich ärgerte mich masslos über die Holländer. Aber das war wohl mit General van Gaal letztlich nicht anders zu erwarten. Und ja, ich meine, dass unter dem Strich der Titel für Deutschland in Ordnung geht, wenn auch das Finale lange auf der Kippe stand. Wäre Gonzalo Higuaín nicht blind, würden heute wohl die Argentinier jubeln.