Durch den Monat mit Luca Maggi (Teil 3): Also beide Augen zu und durch?
In Deutschland findet derzeit die Fussball-EM der Männer statt. Obwohl linke Fans die grossen Verbände kritisieren, verfallen sie dennoch dem Milliardenspektakel. Wie sieht das der grüne Sicherheitsverantwortliche des FCZ?
WOZ: Luca Maggi, spielen Sie eigentlich selbst auch Fussball?
Luca Maggi: Ja, ich habe alle Juniorenstufen durchlaufen. Vom F- bis zum A-Junior, zuerst beim FC Seefeld und dann beim FC Neumünster. Dort war ich mehrere Jahre auch Juniorentrainer und habe versucht, den Kids die Freude am Fussball, aber auch meine damit verbundenen Werte weiterzugeben. Heute spiele ich ab und zu in meiner Freizeit oder renne mit meinem bald zweijährigen Sohn einem Ball hinterher. Für mich liegt der Reiz des Spiels in seiner Einfachheit. Die Spannung, die unvorhersehbaren Wendungen, die Möglichkeit, dass jeder Fehler und jeder brillante Moment ein Spiel entscheiden können, machen es einzigartig und faszinierend.
Seit Freitag läuft in Deutschland die Fussball-EM. Interessiert Sie ein solcher Grossanlass?
Klar! Da kommt es zu den grossen Spielen, in denen Rivalen aufeinandertreffen und die ganze Welt hinschaut. Europa- und Weltmeisterschaften – oder in Südamerika die Copa América – sind für einen Fussballfan etwas vom Grössten. Weil sie jeweils nur alle vier Jahre stattfinden, gibt es keine Überdosis. Klar, die stetige Aufblähung der Turniere ist ein Problem. Noch spüre ich aber die Freude, die ein solches Turnier auslöst. Es ist auch mit vielen Erinnerungen aus der Kindheit verbunden: Panini-Bildli sammeln, lange aufbleiben und Spiele schauen, besondere Momente nachspielen. Die wahren Fussballfeste finden auch dieses Jahr im Kleinen statt: beim Bier mit Freund:innen im Garten oder in der Stammbar. Die durchkommerzialisierten Public Viewings reizen mich hingegen genauso wenig wie der Besuch eines EM-Spiels im Stadion.
Was ist speziell an dieser Zeit während eines grossen Turniers?
Man spürt da die gesellschaftliche Kraft des Fussballs besonders stark. Teilweise scheint alles stillzustehen – selbst in der bürgerlichen Schweiz. Hier, wo es sonst kaum Ausreden gibt, nicht zu arbeiten, ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, Spiele der Nati zu schauen, auch während der Arbeitszeit. Wenn man sich an die Feierlichkeiten nach dem Sieg gegen Frankreich im Achtelfinal der letzten EM erinnert, wo sich die ganze Bevölkerung in ihrer Vielfalt in den Armen lag, zeigt sich, welche Strahlkraft diese Turniere haben.
Aber kann ein derart durchkommerzialisiertes Turnier überhaupt kritiklos konsumiert werden?
Nein, es braucht die Kritik an den grossen Sportverbänden Fifa und Uefa, an ihren Auflagen, ihrem Auftreten, ihrer teils fast unerträglichen Dekadenz. Ihr Verhalten ist kaum mit freiheitlichen, demokratischen Werten vereinbar. Es braucht Diskussionen darüber, wie solche Anlässe wieder näher an die Bevölkerung rücken können. Könnten sie vielleicht auch wieder redimensioniert werden? Heute spielt es keine Rolle mehr, in welchem Land ein Turnier stattfindet – die Stadien sehen gleich aus, die Stimmung ist überall die gleiche. Alles muss der Uefa oder der Fifa genehm sein.
Wie lässt sich diese profitorientierte Standardisierung und Kommerzialisierung mit linken und grünen Werten vereinbaren?
Gut, es scheint mir klar, worauf diese Frage hinausläuft. Man kann es sich einfach machen und aufzählen, was im modernen Fussball alles nicht mit diesen Werten vereinbar ist: die überdimensionierten Gehälter, das Luxus- und VIP-Gehabe, die Vielfliegerei. Die Verbände, die Staaten ihre Regeln aufzwingen und demokratische Prozesse aushebeln wollen. Die Vergabe von Turnieren an Diktaturen.
Also beide Augen zu und durch?
Keineswegs! Ich glaube, dass man diese Kritik äussern kann und sich dennoch die Freude am Fussball davon nicht kaputtmachen lassen muss. All dem Negativen stehen der Sport und die Leidenschaft gegenüber, die er weltweit auslöst. Fussball hat etwas Sinnstiftendes, bietet Ablenkung und Lebensfreude, er wirkt integrativ und verbindend. In einer zerstrittenen und konfliktbeladenen Welt ist er der kleinste und gleichzeitig auch grösste gemeinsame Nenner.
Fussball trägt zur Bildung kollektiver Identitäten bei. Was ist daran aus linker Sicht positiv oder negativ?
Nationalmannschaften können auch Überidentifikation schüren und von Nationalist:innen instrumentalisiert werden. Interessanterweise ist aber gerade in Einwanderungsländern in West- oder Südeuropa auch ein anderes Phänomen zu beobachten: Hier spiegelt sich in Nationalmannschaften die Verschiedenartigkeit einer Gesellschaft. Gerade in der Schweiz werden der Fussball und die Nati nicht den Nationalist:innen überlassen. Wer nörgelt denn am meisten herum? Bemängelt fehlenden Einsatzwillen oder dass die Mannschaft die Hymne nicht mitsingt? Es sind die angeblichen Superschweizer von der SVP! Die Nati ist ein Abbild unserer Gesellschaft und der Gegenentwurf zur vermeintlichen Heidi- oder Papa-Moll-Schweiz. Das ist gut so.
Letzten Monat starb der argentinische Weltmeistertrainer César Luis Menotti. Im Gedenken an «El Flaco» erklärt Luca Maggi nächste Woche im letzten Teil dessen Philosophie des linken Fussballs.