Medientagebuch: Propaganda und Tod
Alfred Hackensberger über Hinrichtungsvideos
Mit einem Video von drei öffentlichen Hinrichtungen in Rakka annoncierte der Islamische Staat (IS) Mitte 2013 sein Coming-out in Syrien. Dieses erste, unmissverständliche Statement wurde damals kaum beachtet. Heute weiss man, es markierte den Beginn eines gruseligen Exekutionskults. Tausende von Menschen sind seither hingerichtet worden: durch Kreuzigungen, Steinigungen, Massenerschiessungen oder Enthauptungen. Gemäss ihrem vulgär-puritanischen Verständnis entledigen sich die Islamisten damit lästiger «Ungläubiger» und «Sünder», die ein Weiterleben nicht verdient haben. Sie werden in die Hände Allahs übergeben, der ihnen die gerechte Strafe zukommen lässt.
Die Bilder der Grausamkeiten des IS wurden auf allen denkbaren Internetplattformen verbreitet. Die Extremisten verstehen diese Veröffentlichung als perfekte Werbung. Es gibt ein Publikum, das diese Schandtaten positiv rezipiert. Und von den Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen wird das Material der Terrorgruppe rund um den Erdball bekannt gemacht. Die Welt liegt der Terrormiliz quasi zu Füssen. Nicht umsonst hat der IS eigene Medienabteilungen eingerichtet, die ein arabisches Publikum, EuropäerInnen und den US-amerikanischen Markt getrennt bedienen. «Natürlich dienen Kreuzigungen, Erschiessungen und Enthauptungen auch der Abschreckung», sagte ein Emir des IS. Bisher funktionierte dieses Prinzip sehr gut. Die irakischen Soldaten liefen im Juni Hals über Kopf aus Mossul davon, als sie hörten, der IS sei im Anmarsch. Peschmerga-Truppen der Autonomen Region Kurdistans flohen aus Karkosch, der grössten christlichen Stadt im Irak. Sie liessen auch den jesidischen Ort Sindschar im Stich, was ein Massaker an den BewohnerInnen und eine Massenflucht zur Folge hatte.
Mit den Videos von den Enthauptungen der US-Journalisten James Foley and Steven Sotloff sowie des Briten David Haines, der für eine französische Hilfsorganisation gearbeitet hatte, öffnete der IS ein neues Kapitel seiner Propaganda. Die Islamisten missbrauchten die drei Männer als politisches Instrument. Die Videos von ihrem Tod wurden als «Botschaften» an die USA und Grossbritannien gesandt. Bei Foley versuchte der IS, den Mord noch zu rechtfertigen: Er sei ein Spion, der mit der CIA zusammengearbeitet und mit dem US-Militär in Kontakt gestanden habe. Bei Sotloff und Haines gab es keine Legitimationsversuche mehr. Dem IS und seiner internationalen Fangemeinde genügte, dass beide einfach den «falschen Pass» hatten. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern weigern sich die USA und Grossbritannien, Lösegeld für entführte Geiseln zu bezahlen. Nach dem Tod von Haines versicherte der britische Premierminister David Cameron: «Wir werden uns von den Terroristen nicht erpressen lassen.» Das wird einen weiteren Briten in den Händen des IS das Leben kosten. Die Exekution von Alan Henning, ebenfalls Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, wurde bereits angekündigt.
Die Filmaufnahmen von den drei bisherigen Enthauptungen waren bis ins letzte Detail inszeniert. Die Gefangenen tragen orangefarbene Anzüge wie in Guantánamo, die Bilder sind mit Musik unterlegt, der Text ist eingeübt und das ganze im Schnitt nachbearbeitet. Fans des IS haben die Szenen nachgeahmt und ins Internet gestellt. Da lässt zum Beispiel ein Junge, nicht älter als zehn, in einer Hand eine Puppe in orangefarbener Kleidung baumeln und hält in der anderen Hand ein langes Messer. Der Junge ist, wie der Henker im Video, schwarz gekleidet und maskiert.
Alfred Hackensberger schreibt für die WOZ aus dem Nahen Osten.