Italien: Kraftprobe um eine symbolische Frage

Nr. 40 –

Ministerpräsident Matteo Renzi macht die Einschränkung des Kündigungsschutzes zur Schlüsselfrage seiner Arbeitsmarktreformen – obschon der Artikel 18 kaum jemanden stört.

Nicht mehr im Eiltempo – «jeden Monat eine Reform» –, sondern ausdauernd wie beim Marathon will Premierminister Matteo Renzi Italien grundlegend umgestalten. Nach der politischen Sommerpause haben nun die (von ihm dafür vorgesehenen) tausend Tage begonnen.

Ab sofort geht es «Schritt für Schritt», und die BürgerInnen sollen das auf der Website passodopopasso.italia.it mitverfolgen können. Bislang sieht man dort nur allerhand Grafiken über den Stand von Gesetzesinitiativen – und eine programmatische Erklärung, die vor allem rhetorisch beeindruckt: «Tausend Tage sind die Zeit, die wir uns geben, um Italien einfacher, mutiger, wettbewerbsfähiger zu machen. Also schöner.» Was schwer sein dürfte, denn Italien «ist schon das schönste Land der Welt», wie es an anderer Stelle heisst.

Viel konkreter wird der Text nicht. Von den dort genannten drei Schwerpunkten Arbeit, Justiz und öffentliche Verwaltung ist es die Umgestaltung des Arbeitsmarkts, die derzeit die heftigsten Kontroversen hervorruft, auch innerhalb der Demokratischen Partei (PD) Renzis. Zusammengefasst sind die Reformen in einem «Jobs Act» genannten Gesetzespaket. Reizthema ist die Einschränkung des Kündigungsschutzes, wie er in Artikel 18 des Arbeitsgesetzes, des «statuto dei lavori», festgelegt ist.

Drei Jahre ohne Kündigungsschutz

Die im Artikel 18 vorgesehenen «Normen zum Schutz der Freiheit und der Würde der Arbeiter und der Freiheit gewerkschaftlicher Aktivitäten am Arbeitsplatz» waren 1970, im Jahr nach dem «heissen Herbst» militanter Streiks, erkämpft worden. Sie sehen vor, dass entlassene ArbeiterInnen wieder eingestellt werden müssen, wenn ein Gericht ihre Kündigung für unrechtmässig erklärt. Nun soll es in diesem Fall nur noch eine Entschädigung geben. Vor allem aber sollen Unternehmen neu eingestellte ArbeiterInnen in den ersten drei Jahren ohne Angabe von Gründen feuern können. Der erst danach greifende Kündigungsschutz soll noch einmal nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und damit in den meisten Fällen nach dem Lebensalter gestaffelt werden – eine krasse Ungleichbehandlung, die nach Meinung etlicher JuristInnen gegen die Verfassung verstösst.

Der Kündigungsschutz nach Artikel 18 war bereits 2012 unter Renzis Vorvorgänger, Mario Monti, in den gleichen Bereichen ausgehöhlt worden – mit dem Argument, er verhindere Neueinstellungen. Positive Wirkungen hatte die Gesetzesänderung nicht: Die Erwerbslosigkeit ist weiter gewachsen, bei den unter 25-Jährigen liegt sie mittlerweile bei 43 Prozent, neue Jobs sind in den allermeisten Fällen befristet. Bemerkenswert ist, dass die unter Monti federführende Arbeitsministerin Elsa Fornero weiter gehende Einschränkungen des Kündigungsschutzes für überflüssig hält. Noch peinlicher: Über diverse Onlinemedien wird derzeit ein erst zwei Jahre altes Fernsehinterview mit Renzi verbreitet, in dem dieser den Artikel 18 für völlig unproblematisch erklärt. In den drei Jahren seiner Amtszeit als Bürgermeister von Florenz, so Renzi 2012, habe sich kein einziger Unternehmer bei ihm über den Artikel 18 beschwert. Dieses angebliche Problem sei einzig und allein das Produkt einer «Mediendebatte».

Belohnung aus Brüssel?

Die Debatte hat zwar an Schärfe zugenommen, doch noch immer ist eine Mehrheit der ItalienerInnen gegen eine Abschaffung des Artikels 18 – auch 55 Prozent der Jüngeren, obschon ihnen eingeredet wird, sie seien Opfer überholter Privilegien ihrer Eltern. Warum Regierung und UnternehmerInnen dennoch ausgerechnet hier die Konfrontation suchen, erklärt Giorgio Squinzi, Präsident des Unternehmerverbands Confindustria: Die Abschaffung sei «ein sehr starkes Signal, besonders an die Investoren, vor allem an ausländische». Ein Signal nämlich, dass man sich gegen die Gewerkschaften durchsetzen kann. Renzi hofft zudem, dass er als Belohnung von den EU-Gremien Zugeständnisse für einen flexibleren Umgang mit den Staatsschulden erhält.

So wird eine eher symbolische Frage zur Kraftprobe. Von den grossen Gewerkschaftsbünden hat nur die (früher kommunistisch dominierte) Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL) die Herausforderung angenommen. CGIL-Präsidentin Susanna Camusso verglich Renzi mit Margaret Thatcher – und musste sich, wie auch die noch nicht auf Linie gebrachte PD-Linke, von Renzi anhören, sie gehöre zur konservativen «alten Garde». Damit es nicht beim verbalen Schlagabtausch bleibt, organisiert die CGIL am 25. Oktober 2014 eine Demonstration in Rom.