Musikstadt Basel: Packt eure Flöten und Geigen in den Koffer!

Nr. 50 –

MusikerInnen aus Drittstaaten erhalten im Kanton Basel-Stadt keine neuen Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen. Betroffen sind über fünfzig KünstlerInnen – so auch die Querflötistin Maruta Staravoitava.

«Die kulturelle Vielfalt hier in Basel ist erstaunlich», sagt Maruta Staravoitava. Wie lange noch?

Wie Maruta Staravoitava so erzählt und dabei ihre Querflöte zur Hand nimmt, spürt man, wie intensiv ihre Beziehung zu diesem kostbaren Instrument ist, das sie vor sechs Jahren in Paris erstanden hat: eine Querflöte mit H-Fuss, die speziell für Neue Musik sowie für Stücke prädestiniert ist, die ursprünglich für Geige komponiert wurden.

Als Mädchen im weissrussischen Minsk wollte Staravoitava zunächst Cello oder Harfe lernen. Nach der Aufnahmeprüfung am Nationalen Gymnasium wurde der Sechsjährigen aber ein Platz in der Flötenklasse zugewiesen. Mit siebzehn, nachdem sie einige Wettbewerbe gewonnen hatte, ging sie ans Konservatorium in Strassburg, wo sie neben der Quer- auch Barockflöte studierte.

Im Jahr 2007 kam Staravoitava nach Basel. Die klangliche Vielfarbigkeit und stilistische Vielseitigkeit des Flötisten Felix Renggli, der an der dortigen Musikhochschule unterrichtete, hatten sie hellhörig gemacht. Das Bedürfnis nach einer stetigen Erweiterung des Ausdrucksspektrums veranlasste sie nach dem Konzertdiplom, sich an der Kunsthochschule Bern in Théâtre Musical weiterzubilden. Die für SchauspielerInnen entwickelte Stanislawski-Methode verleiht ihrem Spiel seither noch mehr Ausdruck.

Staravoitava, die einmal in der Woche an einer Privatschule unterrichtet, arbeitet gern mit zeitgenössischen KomponistInnen zusammen: «Das ist eine der schönen Seiten der Neuen Musik: Man kann direkt mit den Komponisten kommunizieren.»

Seit sieben Jahren lebt Staravoitava in Basel. Und hat sich als Solistin und Kammermusikerin in diversen Formationen wie dem von ihr mit begründeten Ensemble Inverspace etabliert. Sie fühlt sich wohl in der Stadt. «Die kulturelle Vielfalt ist erstaunlich – in der Musik speziell auch dank der Abteilungen für Alte und Neue Musik an den Musikhochschulen. Überhaupt, in der Schweiz spürt man: Kultur wird gefördert und gebraucht. Den Geist, mit Eigeninitiative etwas machen zu können, habe ich erst hier kennengelernt.»

Alles wunderbar also. Bis zu jenem Tag im September, als Staravoitava von einer Kollegin per SMS die Nachricht erhielt, dass MusikerInnen aus Drittstaaten in der Schweiz keinen Wohnsitz mehr haben dürfen.

Quote statt Qualität

Staravoitava ist im Kanton Basel-Stadt eine von 55 MusikerInnen aus Drittstaaten (Nicht-EU- und Nicht-Efta-Staaten), die die Schweiz verlassen müssen. Diese MusikerInnen, davon rund zwanzig allein aus Israel, erfüllten die Voraussetzungen für kontingentierte Kurz- und Daueraufenthaltsbewilligungen nicht, teilte das Amt für Wirtschaft und Arbeit im November mit. Es handelte sich um MusikerInnen, denen die bisherigen Bewilligungen laut Bund gemäss Ausländergesetz gar nicht hätten erteilt werden dürfen. Darauf sei man bei einer Überprüfung im Jahr 2013 gestossen. Öffentlich wurde dies Ende November – just als der Bundesrat eine Teilrevision der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit verabschiedete, nach der die Höchstzahlen für Fachkräfte aus Drittstaaten für 2015 herabgesetzt werden müssen.

Für etwa achtzehn MusikerInnen, die noch vor 2011 Aufenthaltsbewilligungen (Ausweis B) erhalten haben, wird laut Hansjörg Dolder, Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit Kanton Basel-Stadt, nach einer «humanitären Lösung» gesucht. Die restlichen, darunter auch Staravoitava, die als Studentin nur eine Kurzaufenthaltsbewilligung (Ausweis L) hatte, müssten das Land bis Ende August 2015 verlassen.

Insbesondere geht es dabei um die Nichterfüllung einer Anstellung von mindestens 75 Prozent. Auch wenn es laut Dolder nicht zwingend sei, dass diese 75 Prozent durch ein und dieselbe Stelle erfüllt werden: Mit beruflichen Realitäten hat die Regelung wenig zu tun. Laut Hans Läubli, Geschäftsführer von Suisseculture, dem Dachverband der künstlerischen Berufsverbände, sind «nur ein paar wenige KünstlerInnen, die in einer grossen Kulturinstitution arbeiten, zu 75 Prozent oder mehr angestellt». Die meisten arbeiten wie auch die freien Schweizer Kulturschaffenden in verschiedenen Projekten und zum Teil selbstständig.

Stephan Schmidt, Direktor der Musikhochschulen in Basel, bestätigt das: «Die meisten Musikerinnen und Musiker arbeiten in einem Portfolio mit gemischten künstlerischen und pädagogischen Tätigkeiten, gerade weil sich zwischen den verschiedenen Tätigkeiten grosse Synergien ergeben. Vor diesem Hintergrund bildet das gegenwärtige Ausländergesetz die Berufswirklichkeit im Bereich Musik nicht richtig ab. Erschwerend kommt hinzu, dass nachgewiesen werden muss, dass keine Person aus der Schweiz oder der EU diese Stelle besetzen könnte. Das erschwert einen auf Qualitätskriterien basierenden Entscheid.»

Nach Ansicht von Hans Läubli wären die Folgen der neuen Praxis verheerend: «Kunst und Kultur brauchen den internationalen Austausch. Man stelle sich vor, dass Schweizer Musikerinnen, Filmschaffende, Schriftsteller oder Tänzerinnen nur noch in der Schweiz tätig sein könnten! Die Kontingentierung von ausländischen Arbeitskräften im Kulturbereich ist weltfremd. Werden die immer strikteren Ausländergesetze wortgetreu umgesetzt, bleibt der Schweiz eine Schrumpfkultur nach dem Motto ‹Quote statt Qualität›».

Basel als Musikwüste?

Läubli hofft, dass der Druck auf die Behörden nach dem klaren Entscheid gegen die Ecopop-Initiative wieder etwas nachlässt: «Solche Entscheide sind aber wohl nur durch ein starkes Engagement der betroffenen Kreise rückgängig zu machen.» In einem Schreiben an Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat Suisseculture bereits interveniert. Zudem wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die abklärt, wo und wie politisch eingegriffen werden kann.

Immatrikulierte StudentInnen sind zwar nicht direkt von der neuen Praxis betroffen. Stephan Schmidt vermutet jedoch, dass die sinkende Chance, hier eine Karriere aufzubauen, zu einem Rückgang an exzellenten Studierenden aus Drittländern führen wird: «Für weltweit bekannte Institute wie unsere Musikhochschulen könnte das zu einem qualitativen Problem werden. Studierende finden sich hier zu Ensembles zusammen und bereichern damit die Basler Musikszene. Einige davon konzertieren von hier aus weltweit und sind so wertvolle Botschafter für Basel und die Schweiz. Wenn die Musiker nach der Diplomierung ausreisen müssen, brechen die Ensembles auseinander – gerade dann, wenn sie ihre Blüte erreichen und Karrieren entstehen.»

Maruta Staravoitava versteht sich längst als Schweizer Kulturschaffende. Auch ist sie zu einer vorzüglichen Botschafterin des Landes geworden: In vielen europäischen Städten hat sie schon Werke von Schweizer KomponistInnen gespielt – so etwa im Rahmen der «Basler Tage» in Moskau oder eines Kulturaustauschs in Minsk.

Seit einigen Tagen ist Staravoitava nun aber papierlos. Im Juli, auf ihre Anfrage beim zuständigen Amt, ob ihr nach der Studentenbewilligung eine neue Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung erteilt würde, hiess es noch: Kein Problem. Ende November jedoch, als die Studentenbewilligung abgelaufen war, hatte sie noch immer kein neues Papier.

Immerhin: In Basel hat sich inzwischen ein breit abgestützter Widerstand gegen die neue Praxis gebildet. Nach wenigen Tagen fordern bereits über 5500 Personen in einer Onlinepetition «Fairness für die Musikerinnen und Musiker und Qualität für Basels Musikleben». Da die Praxisänderung für die Betroffenen nicht vorhersehbar gewesen sei und sie in vielen Fällen bereits Verträge abgeschlossen haben, die weit über den 1. Januar 2015 hinausgehen, «wäre es nur fair, wenn eine Lösung gefunden würde, damit sie Basel nicht verlassen müssen» – und Basel dadurch nicht plötzlich zur «Musikwüste» würde!

Die Unterzeichnenden bitten den Regierungsrat, eine Übergangslösung zu finden, damit alle betroffenen MusikerInnen eine Kurzaufenthaltsbewilligung bis mindestens Ende 2015 erhalten, und als langfristige Massnahme beim Bund darauf hinzuwirken, dass es Nicht-EU-MusikerInnen weiterhin möglich ist, in der Schweiz tätig zu sein.

Maruta Staravoitava packt ihre Querflöte ein. Sie muss an diesem Nachmittag noch eine Partitur für ein Konzert mit dem Ensemble Inverspace studieren, das im Rahmen eines Kulturaustauschs in Tokio aufgeführt werden soll. Nächsten Sonntag spielt das Ensemble eine kleine Version davon in Zürich.

So wie es aussieht, kann Staravoitava bis Ende August 2015 in der Schweiz unterrichten. Immerhin das wurde ihr in einem E-Mail bestätigt. «Grad eben habe ich die Rechnung für ein neues Visum erhalten.» Was für ein Papier das sein wird und inwieweit sie ab Januar 2015 in der Schweiz auch wohnen und konzertieren darf, weiss sie noch nicht.