Film «Durak»: Gute Nacht, Russland

Nr. 2 –

Die Strassen sind menschenleer, als unser Held im Film «Durak» zu Fuss bis zum anderen Ende der Stadt marschiert, allein durch die eiskalte Nacht, und auf dem Soundtrack erklingt dazu ein bodenlos trauriger Song der Band Kino: «Gute Nacht», singt die Grabesstimme von Wiktor Zoi, ein frommer Wunsch, der in diesem Spielfilm von Juri Bykow wie bitterste Ironie klingt. Oder wie ein vorweggenommenes Requiem.

Denn irgendwo in dieser Provinzstadt steht ein Sozialbau, der so marode ist, dass er in einer Frostnacht wie dieser jederzeit zusammenkrachen und die mehreren Hundert Menschen, die darin hausen, unter sich begraben könnte. Wie bedrohlich der Riss in der Mauer ist, merkt nur der junge Sanitär Dima (Artiom Bystrow), der sich zum Ingenieur weiterbilden lässt und wegen eines Schadens zufällig vor Ort ist. Daheim stellt er Berechnungen an, dabei wird ihm klar: Das Haus muss sofort evakuiert werden. Doch schon die eigene Familie will den guten Mann von seiner Mission abhalten, weil er sich damit nur in Schwierigkeiten bringe.

Das stimmt, denn wo sollte man alle diese armen Leute so schnell unterbringen mitten im Winter? Und wer sagt, dass sich Dima nicht bloss wichtigmachen will? Abgesehen davon feiert die Stadtpräsidentin (Natalya Surkova) gerade Geburtstag, samt ihrer korrupten Entourage. Da stört nur, wer mal eben einigen Hundert Randständigen das Leben retten will.

In einer einzigen Nacht spielt dieses Drama eines Mannes, der an allen Fronten aufläuft. Als Thriller ist das ungeheuer fesselnd, als umfassende Diagnose einer Gesellschaft von einer illusionslosen Schärfe. Wo der Gemeinsinn längst kassiert wurde, mag sich auch niemand mehr Moral leisten: Die Mächtigen sind besoffen von ihrem Reichtum, die Armen blind vor Wut und Ohnmacht. Und wer hier, im Haus Russland, stoisch an der Kraft der selbstlosen Tat festhält, kann nur ein Narr sein, ein «Durak» eben, wie Dima. Da klingt dann auch jenes Schlaflied wie ein trostloser Abgesang, gemünzt auf ein ganzes Land: Na dann, gute Nacht, Russland.


Ab 8. Januar 2015 in den Kinos.

Durak. Regie: Juri Bykow. Russland 2014