Griechenland: Löhne rauf, damit die Wirtschaft wieder läuft
Die linke Partei Syriza macht sich nach ihrem Wahlsieg jetzt daran, die Spar- und Privatisierungspolitik der Vorgängerregierung rückgängig zu machen. Doch da sind viele Stolpersteine zu überwinden.
Fast die Hälfte der Jugendlichen ist arbeitslos, die Renten wurden drastisch gekürzt, Hunderttausende in die Armut getrieben, das Land ist gefangen in einer Schuldenspirale. Die neu gewählte griechische Regierung unter Führung des linken Syriza-Politikers Alexis Tsipras steht vor gewaltigen Herausforderungen. Die Spar- und Privatisierungspolitik der abgewählten griechischen Regierung hat die Krise weiter verschärft. Doch noch immer pochen die Schuldnerstaaten Griechenlands, angeführt von der Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission, auf der Fortsetzung ihrer Austeritätspolitik. Syriza hat nach ihrem Wahlerfolg am 25. Januar angekündigt, die sogenannten Reformen der Vorgängerregierung zu stoppen und sich nicht weiter dem Diktat der Troika zu unterwerfen.
«Wir sind alle in einer Wartehaltung, denn ein Statement der neuen Regierung jagt das nächste. Leider gehen diese oft in völlig verschiedene Richtungen, stammen aber von derselben Partei», so der Politologe Giorgos Tzogopoulos. Die meisten GriechInnen würden die neue Regierung bei ihrer Kampfansage an die Troika unterstützen. Das sei auch verständlich nach all dem, was die Bevölkerung durchgemacht habe. «Allerdings gibt es noch keine konkreten Aussagen, wie die neue Regierung ihre Wahlversprechen in die Tat umsetzen will.» Denn von irgendwo müsse ja das Geld für die Wiedereinstellung von Staatsangestellten und die weitere Schaffung von Arbeitsplätzen herkommen. Ende Woche könnte sich allerdings einiges klären, wenn das neu gewählte Parlament zu seiner ersten Sitzung zusammentritt.
Eines der grossen Wahlversprechen von Syriza war, die Privatisierung zu stoppen. Gleich zu Beginn des ersten Sparpakets im Jahr 2010 wurde Griechenland von der Troika gedrängt, staatliche Besitztümer zu privatisieren, um die leere Staatskasse zu füllen. Ein Grossteil des Hafens von Piräus – der mit 17,6 Millionen Gästen pro Jahr einer der grössten Passagierhäfen der Welt und Europas neuntgrösster Frachthafen ist – wurde von der chinesischen Reederei Cosco für vierzig Jahre geleast. Cosco betreibt eine Fläche, die dreimal so gross ist wie der staatliche Containerhafen. Über den Verkauf des kompletten Hafens wurde diskutiert. Das sei nun endgültig vom Tisch, so der für die Schifffahrt zuständige Staatssekretär Theodoros Dritsas direkt nach Amtsantritt in den griechischen Medien. Der öffentliche Charakter des Hafens werde bewahrt. «Die Privatisierung hört hier auf. Die Ausschreibung zum Verkauf des Aktienpakets der griechischen Hafengesellschaft wird aufgehoben.» Man wolle ein eigenes Investitionsprogramm auf die Beine stellen, so Vizeregierungschef Yannis Dragasakis gegenüber der griechischen Presse. Wie genau das aussehen soll, liess er bisher noch offen. Klar ist jedoch: Die Leasingverträge mit Cosco bleiben weiterhin bestehen.
Das sei auch gut so, sagt der unabhängige Ökonom Vangelis Agapitos. Er kritisiert die neue Regierung, dass sie mit ihren Ankündigungen, die Privatisierungen zu stoppen, zu voreilig aufgetreten sei. «Damit vergrault sie neue Investoren, die das Land aber bitter nötig hat.» Agapitos hält das Leasingsystem für sinnvoll. «Man vermietet etwas für ein paar Jahre, der Investor baut etwas auf, und am Ende der Laufzeit gewinnt der Staat die gesamte Infrastruktur des Unternehmens.»
Leasingverträge lösen?
«Leasen?» Giorgos Papavasiliou, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der griechischen HafenarbeiterInnen, lacht auf. «Das ist dasselbe wie gekauft.» Papavasiliou ist ein strikter Gegner von Privatisierungen. Die Syriza-Regierung sei da viel zu nachgiebig. Vor der Wahl habe die Partei zwar gesagt, sie wolle die Privatisierung stoppen. Doch das würde für Papavasiliou heissen, den Vertrag mit Cosco aufzulösen. Syriza halte letztendlich doch einen sehr proeuropäischen Kurs, so der Gewerkschafter. Das bedeute, dass sie auch die neoliberale Politik der EU umsetzen werde.
Papavasiliou arbeitet eng mit den ArbeiterInnen von Cosco zusammen. Die meisten von ihnen waren zuvor verzweifelt auf Jobsuche und hätten nur aus der Not heraus beim chinesischen Konzern angefangen. Ein Monatsgehalt betrage zwischen 700 und 900 Euro. Dabei würden die Beschäftigten täglich weit mehr als zehn Stunden arbeiten. Ausreichend versichert sei dort niemand, so Papavasiliou. Die Privatisierung sei für ihn eine Folge der Krise: «In Notzeiten, in denen es kaum Arbeit gibt, ist es leicht, die Menschen auszubeuten», sagt er. Die Cosco-ArbeiterInnen selbst halten sich bedeckt mit öffentlichen Aussagen. «Aus Angst, ihren Job zu verlieren. Die haben dort ja überhaupt keine Absicherung», so Papavasiliou. Immerhin ist es den Cosco-ArbeiterInnen kürzlich gelungen, eine eigene gewerkschaftliche Gruppe zu gründen. In dieser Woche findet die erste Sitzung statt.
Brot, Milch, Schuhe
Froso Alvanitaki gehört zu jenen, die grosse Hoffnungen auf Syriza setzen. Sie ist überzeugt, dass die Regierung Massenentlassungen im öffentlichen Dienst rückgängig macht und den von Antonis Samaras gesenkten Mindestlohn anheben wird. Die 53-Jährige verlor vor gut zwei Jahren ihren Arbeitsplatz als Putzkraft staatlicher Gebäude. «Zuerst wurde uns unser geringes Gehalt um 75 Prozent gekürzt, dann wurden wir rausgeschmissen», sagt Alvanitaki. Sie und 594 ihrer entlassenen Kolleginnen demonstrierten daraufhin fast täglich vor dem Parlament. Viele der Frauen lebten seither weit unter der Armutsgrenze. Immer wieder wurden ihnen von Suppenküchen Lebensmittel gebracht. «Es herrschte eine grosse Solidarität, wir wurden sehr unterstützt», so Alvanitaki. «Auch Tsipras hat uns besucht und uns die Unterstützung von Syriza zugesichert», berichtet sie.
Die Wiedereinstellung der Putzkräfte – aber auch die von weiteren Staatsangestellten – war ein Wahlversprechen von Syriza. Nach dem Wahlsieg hat die Partei klargemacht, dass sie an dem Vorhaben festhalten wolle. Denn es gehe dabei nicht nur um Sozialpolitik. Die Wiedereingestellten und deren Familien würden mit ihren Löhnen auch die Volkswirtschaft ankurbeln, heisst es.
Auch von der Wiedereinführung des ursprünglichen Mindestlohns von 751 Euro (der mit dem sogenannten Rettungspaket von 2012 auf 586 Euro gesenkt wurde) erhofft sich die neue Regierung einen Wachstumsschub. «Wenn Sie Menschen mit einem solch niedrigen Einkommen etwas Geld geben, werden sie es für ihre Grundbedürfnisse ausgeben: Brot, Milch, ein Paar Schuhe», sagte der neue Arbeitsminister Panos Skourletis. Damit werde die Realwirtschaft angekurbelt. Bevor ein Beschluss gefällt werde, solle aber zuerst mit den Unternehmensverbänden und den Gewerkschaften gesprochen werden. Die Regierung will verhindern, dass Kleinunternehmen wegen der Anhebung der Mindestlöhne Angestellte entlassen müssen.
Schuhe sind Putzkraft Alvanitaki egal – sie möchte endlich wieder ihre Cholesterinmedikamente kaufen. Diese kann sie sich seit ihrer Entlassung nicht mehr leisten. Denn sie müsste für jedes Rezept beim Arzt zehn Euro zahlen, und zudem hat die Krankenkasse auch noch ihren Kostenanteil an den Medikamenten drastisch reduziert.
Die Staatsverschuldung
Seit 2010 ist Griechenland abhängig von Finanzspritzen der internationalen GeldgeberInnen, da dem Land die Staatspleite droht. Die benötigten Gelder in Form sogenannter Hilfspakete bekam das Land aber nur, weil es ein straffes Sparprogramm akzeptierte.
Griechenland erhielt bisher zwei solche Rettungspakete. Davon wurden aus dem ersten Paket bilaterale Kredite der Europartner in Höhe von 53 Milliarden Euro ausgezahlt, aus dem zweiten Paket 141 Milliarden Euro.
Doch trotz aller Sparbemühungen und einem Schuldenschnitt im Jahr 2012 stieg der Schuldenstand bis Ende 2014 auf knapp 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Derzeit hat das Land rund 320 Milliarden Euro Schulden. Das aktuelle Hilfsprogramm läuft Ende Februar aus. Wie es danach weitergehen soll, ist unklar.