Medientagebuch: Loch im Magen

Nr. 9 –

Theodora Mavropoulos über einen griechischen Arbeitslosenblog

Griechenland hat mit knapp 26 Prozent die höchste Arbeitslosenquote der EU-Mitgliedstaaten. Jeder Vierte in der griechischen Bevölkerung ist mittlerweile arbeitslos, unter Jugendlichen sogar jede Zweite. Sechs Jahre Rezession haben den griechischen Arbeitsmarkt immer weiter heruntergewirtschaftet. Das morbid gewordene Staatssystem kann die Arbeitslosen nicht mehr auffangen. Die meisten von ihnen sind verzweifelt.

Der Journalist und Autor Christoforos Kasdaglis gibt ihnen eine Stimme: Um die Menschen hinter dem abstrakten Begriff der Arbeitslosigkeit zum Vorschein zu bringen, rief er vor zwei Jahren das «Tagebuch eines Arbeitslosen» ins Leben – eine Internetseite, an deren Adresse die Leute kurze Textnachrichten schicken können, um ihre Situation zu schildern. In einem Buch fasste Kasdaglis letztes Jahr einige der Einsendungen zusammen. Auf der Website dokumentiert er neben den Tagebucheinträgen auch Fakten zur Arbeitslosigkeit im Land und weist auf Demonstrationen hin.

Verliert man in Griechenland den Arbeitsplatz, kann es eigentlich nur noch bergab gehen. Schon für den Job eines Pizzaboten bewerben sich heutzutage etwa 600 Menschen – darunter Ärztinnen und Juristen. Ein Jahr lang gibt es für GriechInnen ein monatliches Arbeitslosengeld von etwa 350 Euro. Für ein weiteres Jahr kann unter bestimmten Voraussetzungen eine staatliche Zuwendung von 200 Euro im Monat beantragt werden. Danach ist Schluss – die Menschen werden in die völlige Armut entlassen. Eine Grundsicherung kennt Griechenland nicht, und die Unterstützung durch Verwandte funktioniert in solchen Krisenzeiten auch nicht mehr: Fast alle sind von den Einsparungen betroffen, die die Troika – die sich aus dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission zusammensetzt – im Gegenzug zu den sogenannten Hilfspaketen eingefordert hat.

«Ich, arbeitslos, 47, mit Loch im Magen und auch nur das. Mit Biografien und Bewerbungen angebissen im Mund.» Manche der Nachrichten auf der Seite von Christoforos Kasdaglis sind poetisch gehalten, viele bleiben anonym. Andere wiederum berichten in nüchternem Ton, was ihnen widerfahren ist. So auch Tassos Katziannis: «Bin seit zwei Jahren arbeitslos. Immer wieder verschicke ich Bewerbungen, einfach um im gesellschaftlichen Zeitplan überhaupt noch vorzukommen.» Der Mann wurde drei Wochen für einen Callcenterjob eingestellt; eine Woche arbeitete er auf Probe umsonst. Nach zwei Wochen kam ein Anruf: «Wir müssen sparen – alles Gute!» Seine Arbeit bekam Katziannis nie bezahlt.

Kasdaglis «Tagebuch eines Arbeitslosen» soll einerseits den Betroffenen dazu dienen, sich alles von der Seele zu schreiben. Andererseits soll es ein Zeichen setzen: dass es vielen so geht wie ihnen. «Ich wollte die Menschen aus ihrer gesellschaftlichen Isolation herausholen», sagt Kasdaglis. Denn arbeitslos zu sein, sei auch im krisengeplagten Griechenland immer noch ein Tabu. «Die Menschen verstecken sich, fühlen sich minderwertig.»

Als aus den Wahlen im Februar die linke Syriza als neue Regierungspartei hervorging, liessen die Texteinsendungen für den Blog nach. «Es scheint, als ob alle zunächst einmal hoffnungsvoll abwarten», so Kasdaglis. Doch selbst wenn die neue Regierung es schaffen würde, ihre Wahlversprechen in die Tat umzusetzen: «Um hier alles wieder zu normalisieren, braucht es Jahre», meint er.

Theodora Mavropoulos schreibt für die WOZ aus Athen. Das «Tagebuch eines Arbeitslosen» findet sich unter www.imerologioanergou.gr.