Durch den Monat mit Simon Jaquemet (Teil 4): Gab es schon Reaktionen, die Sie befremdet haben?

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«Chrieg»-Regisseur Simon Jaquemet zählt sich zum kreativen Prekariat. Er ist Mitglied der Gruppe Swiss Fiction Movement, die für mehr Fördergeld für den Nachwuchs kämpft.

Simon Jacquemet: «An den Solothurner Filmtagen sprach mich eine Frau an, bei der ‹Chrieg› extrem ausländerfeindliche Gefühle geweckt hat. Das hat mich schon erschreckt.»

WOZ: Simon Jaquemet, ein bürgerliches Publikum sieht in Ihrem Film «Chrieg» eigentlich alle üblen Vorurteile über die heutige Jugend bestätigt. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Simon Jaquemet: Ich kann das natürlich nicht kontrollieren. Aber wenn man den Film so versteht, wie ich mir das gedacht habe, ist es eigentlich klar, dass es mir nicht darum geht, Hass auf diese Jugendlichen zu schüren. Sondern darum, dass man sie irgendwie doch sympathisch findet, obwohl sie ständig Fehler machen und sich immer für das Falsche und das Destruktive entscheiden.

Gab es schon Reaktionen, die Sie befremdet haben?
Ja. An den Solothurner Filmtagen sprach mich eine Frau an, die nach dem Film total aufgewühlt war. Bei ihr hat «Chrieg» extrem ausländerfeindliche Gefühle geweckt. Das hat mich schon erschreckt. Dabei sah sie eigentlich eher wie eine Linke aus. Aber für sie waren die Jugendlichen im Film alles Ausländer und dann natürlich auch alle aus dem Balkan. Sie sagte, genau so sei es, die müsse man alle ausschaffen. Ich habe dann versucht, ihr das auszureden.

Vor zehn Jahren haben Sie in Zürich die Filmschule abgeschlossen, seither sind Sie freischaffend. Wovon leben Sie?
Die letzten vier Jahre von meinem Film, also vom Lohn, den die Produktionsfirma für Drehbuch und Regie zahlte. Davor lebte ich vor allem von Auftragsfilmen: Modevideos, früher auch Musikvideos. Und ab und zu hab ich Arbeitslosengeld bezogen. Als ich kürzlich die Steuererklärung ausgefüllt habe, bin ich schon etwas erschrocken, wie wenig ich verdient habe. Ich lebe mit rund 3000 Stutz im Monat.

Damit kommen Sie über die Runden?
Es geht, aber es ist knapp, in Zürich. Ich zähle wohl zu den Working Poor. Du arbeitest 150 Prozent und kommst damit gerade mal aufs Existenzminimum. Aber ich will nicht motzen. Ich könnte sicher Dinge machen, mit denen ich mehr Geld verdienen würde. Aber man darf sich schon fragen, ob es richtig ist, dass man als Filmemacher in der Schweiz so arm sein muss.

Zusammen mit einigen Kollegen kämpfen Sie mit Swiss Fiction Movement für eine stärkere Nachwuchsförderung bei Low-Budget-Filmen. Was ist Ihr Ansporn dafür?
Ich finde es gut, wenn es eine Lobby für den Nachwuchs gibt – auch wenn ich Fragezeichen habe, was diese Low-Budget-Förderung angeht. Wer weiss, vielleicht hätte ich vor meinem ersten Langspielfilm noch einen Low-Budget-Film gemacht, wenn unsere Forderungen schon erfüllt wären. Ich hatte ein recht absurdes Projekt, für das ich nirgends Geld bekam. Wenn man immer gleich zwei Millionen Franken auftreiben muss wie bei «Chrieg» – das dauert.

Low-Budget-Filme beruhen ja stark auf der Selbstausbeutung aller Beteiligten. Die Berufsverbände haben deshalb auch aus gewerkschaftlichen Gründen Mühe mit Ihren Forderungen.
Ich verstehe diese Bedenken, aber ich sehe da kein Problem. Wir wollen ja nicht, dass ein Teil der Förderung für Low-Budget-Förderung abgezwackt wird. Es müsste zusätzliches Geld für den Nachwuchs sein. Es geht also nicht darum, Jobs von High-Budget-Filmen in den Low-Budget-Bereich zu verschieben, sondern darum, zusätzliche Filme zu ermöglichen, die schnell und billig realisiert werden. Das schafft dann auch wieder mehr Jobs für Anfänger.

Zusammen mit zehn befreundeten Kollegen, darunter Tobias Nölle und Ihr Kameramann Lorenz Merz, haben Sie das Filmkollektiv 8horses gegründet. Was ist die Idee dahinter?
Schwer zu sagen. Wir kennen uns schon lange und arbeiten seit Jahren zusammen. Irgendwann haben wir beschlossen, das auch offiziell zu machen. Wir haben diese Firma gegründet, damit wir die Möglichkeit haben, auch selber Filme zu produzieren. Es gibt zwar eine Grundstruktur von Buchhaltung, aber sonst ist alles sehr offen bei uns. Wir haben es auch schon mit einem Manifest versucht, aber das schaffen wir nicht. Wir haben es aufgegeben, uns inhaltlich zu definieren. Unbewusst gibt es sowieso eine grosse Übereinstimmung.

Die Gruppe hat also keine Lust auf programmatische Ansagen zum Schweizer Film?
Nein. Wir alle wollen Filme aus einem künstlerischen Antrieb machen, das ist unser gemeinsamer Nenner. Das grosse kommerzielle Kino interessiert uns weniger, wir wollen auch kein Geld verdienen mit dieser Firma. Jemand hat uns mal als Wolfsrudel beschrieben, das gefällt mir. Wir wissen, dass wir alle Individualisten sind. Darum haben wir uns zu einer Gruppe zusammengeschlossen, in der wir unsere Individualität gegenseitig fördern können, ohne dass wir uns irgendwo anpassen müssen.

Was hat es eigentlich mit dem Namen «8horses» auf sich?
Ich glaube, dahinter steckt irgendein chinesischer Mythos. Die Idee kam von Lorenz, und sie hat uns allen gefallen. Wir haben ihn aber nie gefragt, was diese acht Rösser genau zu bedeuten haben. In Albanien, auf dem Schloss des Kriegsherrn Skanderbeg, hab ich dann noch dieses Bild dort gefunden. (Er zeigt auf ein kitschiges Gemälde von acht Pferden, eingefasst in einen kitschigen Goldrahmen.) Da wussten wir: Das stimmt schon mit diesem Namen.

Simon Jaquemet (36) hat vor «Chrieg» ein Dutzend Musikvideos gedreht, unter anderem für Adrian Stern, Breitbild und My Heart Belongs to Cecilia Winter.