Medientagebuch zu al-Dschasira: Familieninteressen

Nr. 15 –

Alfred Hackensberger über den Niedergang von al-Dschasira

Al-Dschasira kennen heute alle. Der Nachrichtensender aus dem Golfemirat Katar veränderte die Medienwelt, als er 1996 startete. Diese Art kritischer und hautnaher Berichterstattung über die Kämpfe im Afghanistankrieg oder die US-Invasion in den Irak hatte es bisher nicht gegeben. In vielen arabischen Ländern konnten ZuschauerInnen zum ersten Mal Nachrichten sehen, die nicht vom nationalen staatlichen Sender und nicht aus dem Westen stammten.

2006 lancierte al-Dschasira einen globalen englischsprachigen Kanal und stellte dafür bekannte Journalisten von BBC, CNN oder auch France 24 ein. Geld spielte keine Rolle; dieses kam vom Thani-Clan, der Herrscherfamilie Katars. Al-Dschasira in Englisch war nicht weniger innovativ als der arabische Vorgänger. «Neue Nachrichtenstandards» wurden versprochen, und es klappte ganz gut: Mit ausreichenden finanziellen Mitteln, etwas Fantasie und Qualität war es leicht, sich im westlichen Mainstream zu positionieren.

Doch 2011 begann der Arabische Frühling, und al-Dschasira geriet mehr und mehr unter die Räder der unberechenbaren katarischen Politik. Im Fall Tunesiens gab es noch keine Probleme, als der Sender Bilder von den ersten Protesten in die Welt schickte. Ohne diese hätte es vielleicht den Arabischen Frühling gar nicht gegeben. Später kamen Libyen und vor allem Ägypten – der Abstieg von al-Dschasira begann.

Das Emirat Katar unterstützte in Ägypten die Muslimbruderschaft und Präsident Muhammad Mursi, der von einer Figur des alten Regimes, General Fattah al-Sisi, gestürzt wurde. 2013 reichten 22 Redaktionsmitglieder des Al-Dschasira-Büros in Kairo die Kündigung ein. Begründung: Der Sender sei parteiisch und habe zugunsten der Muslimbruderschaft berichtet. Ägypten verbot al-Dschasira. Im Dezember 2013 wurden drei Journalisten des Katarsenders verhaftet und blieben über ein Jahr in ägyptischer Haft, weil sie «falsche Nachrichten» verbreitet hätten. Einer von ihnen, Mohamed Fahmy, beklagte sich nach der Freilassung, der Sender hätte weit mehr für die inhaftierten Journalisten tun können. Aber al-Dschasira wollte, so Fahmy, der ehemalige Bürochef von Kairo, eine Zivilklage, die parallel zum Fall lief, nicht gefährden: Der Sender forderte 150 Millionen US-Dollar vom ägyptischen Staat.

Vor Jahren hätte die Herrscherfamilie in Katar den Verlust dieser Summe leicht verschmerzen können. Heute sind die Öl- und Gaspreise im Keller – und al-Dschasira steckt in einer Krise. Ökonomisch war der Sender noch nie profitabel. Es ist ein inhaltlicher Niedergang, den man feststellen kann: Während früher politische Einflussnahme selten zu erkennen war, folgt al-Dschasira jetzt dem offiziellen Politkurs von Katar. Über die aktuellen Machthaber in Ägypten berichtet man nicht etwa nur kritisch – man führt eine regelrechte Kampagne. In Libyen ergreift man bei zwei rivalisierenden Regierungen deutlich Partei für das islamistisch ausgerichtete Kabinett. Dieses wird «legal» genannt, obwohl das andere über Wahlen zustande kam und international anerkannt ist.

Ein negativer Höhepunkt war vielleicht vorletzten Sonntag eine Sendung über die Auswirkung des «Kriegs gegen den Terror». Dieser habe sich, so der Chefanalyst des Senders, zum «Krieg gegen Muslime» entwickelt – eine Sichtweise, wie sie radikale Islamisten oft äussern, die aber platter und dümmer nicht sein könnte – als ob die USA oder Europa aus religiösen Gründen im Irak oder in Syrien bombardierten!

Alfred Hackensberger schreibt für die WOZ aus Marokko.