Kessel von Aarau: «Mutmassliche Fans»

Nr. 18 –

In Aarau werden Menschen von der Polizei abgeführt, weil sie FC-Zürich-Fans sind. Darüber regt sich kaum noch jemand auf.

Die Sprache passt sich schnell den Begebenheiten an: «Aargauer Polizei führt reihenweise mutmassliche FCZ-Fans ab», titelte die Onlineausgabe des «Tages-Anzeigers» letzten Samstag, worauf die NZZ am Montag die «mutmasslichen Fans» nachreichte.

Was war passiert? Die Kantonspolizei Aargau hatte den AnhängerInnen des FC Zürich den Besuch des Auswärtsspiels in Aarau untersagt. Nach Ausschreitungen einiger FCZ-Fans in Basel befürchtete man erneute Missetaten. Der FC Aarau musste deshalb den Gästesektor geschlossen lassen. Trotzdem reisten rund 300 ZürcherInnen an, um ihren Verein vor den Stadiontoren zu unterstützen. Sie wurden am Bahnhof und beim Stadion von einem massiven Polizeiaufgebot empfangen und eingekesselt.

FDP-Gemeinderat in Haftstrasse

Mit dem verschärften Hooligan-Konkordat lockert die Polizei die Aufnahmebedingungen in die Welt der Fussballverbrecher ein weiteres Mal: Wurden einst mutmassliche Schläger, später mutmassliche Feuerwerkler und noch später mutmassliche Hinderer einer Amtshandlung als «Hooligans» verfolgt, ist nun in letzter Konsequenz und Logik der mutmassliche Fan an der Reihe. Das trifft dann, wie im Fall Aarau, auch Leute wie den erstaunten Opfiker FDP-Gemeinderat und FCZ-Fan Ciri Pante; vom liberalen Original für ein verschärftes Konkordat direkt in die Haftstrasse.

Die Ausweitung der Kampfzone verwundert nicht. Schliesslich erleben wir gerade «Szenen wie aus einem Krieg». So umschreibt inzwischen auch die «NZZ am Sonntag», ein paar Seiten hinter den Berichten zu Syrien, ohne erkennbare Scham die Schweizer Fussballwelt. «Bis zum ersten Toten» hiess der Artikel, und er war voller Fehler.

Doch das spielt keine Rolle mehr. Achtzig Prozent und mehr Zustimmung bei Referendumsabstimmungen zum Konkordat sprechen eine deutliche Sprache: Die Leute haben genug. Sie wollen endlich Taten sehen. Oder doch wenigstens den ersten Toten: «Zwei bis drei Scharfschützen, dann ist Ruhe», war nach den Ereignissen in Basel in den Kommentaren auf «Blick Online» zu lesen, «mit Schrotkugeln auf die Chaoten schiessen», hiess es beim «Tagi». Gelöscht wird so etwas nicht. Man hat ja ein gewisses Verständnis.

Selbstregulierung als Hypothek

Über Lautsprecher wurde den eingekesselten FCZ-Fans von der Polizei gedroht: Wer sich jetzt nicht auf den Heimweg begebe, dem drohe eine Anzeige wegen Landfriedensbruch. Die allermeisten blieben. Sie waren der Auffassung, dass in der Schweiz die Bewegungsfreiheit gelte. Kurz darauf wurden sie mit Kabelbindern gefesselt und abgeführt.

Am Montag teilte die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau mit, es würden keine Verfahren eröffnet, es habe keine Anzeichen für gewalttätiges Verhalten gegeben. Und der Landfriedensbruch? Im Nachhinein sei man immer gescheiter, lässt sich der Aargauer Sicherheitsdirektor Urs Hofmann (SP) zitieren.

Für die Fans wird die Lage ungemütlich. Sich juristisch gegen die Schikanen und Nötigungen zu wehren, kostet Zeit und vor allem Geld. Hinzu kommen die Probleme innerhalb der Szene. In die grossen Schweizer Fankurven hat sich seit Jahren kein Polizist oder Security-Mann mehr verirrt: Die Kurven pochen darauf, Probleme intern zu regeln.

In Zürich tritt die Südkurve als einheitliche Organisation auf, die sich in seltenen Fällen über Communiqués der Aussenwelt mitteilt. Kommt es, wie in Basel, zu Fackel- und Böllerwürfen aus den Reihen einiger weniger FCZ-Fans, trägt in den Augen der Öffentlichkeit die Südkurve als alleinige Repräsentantin der Szene die Verantwortung – und die Schuld.

Denn darum geht es letztlich: Das Unverständnis für die Subkultur der Fussballfans ist über die Jahre, medial inszeniert und politisch bewirtschaftet, zur grenzenlosen Empörung gegoren. An Fehltritte Einzelner mag niemand mehr glauben, und so werden selbst nach skandalösen Polizeieinsätzen wie am Samstag alle Fans in Sippenhaft genommen: Selber schuld! Auch die Linke lässt das Repressionslabor Fussball auffällig ungerührt. Sie ist ja auch schon eine Weile her, die Zeit der mutmasslichen Staatsfeinde.