Turmbau zu Vals: «Das isch en neue Approach!»

Nr. 21 –

Mit einem gigantischen Turm will der umstrittene Immobilienunternehmer Remo Stoffel das Thermehotel in Vals zum Resort für Superreiche machen. Was halten eigentlich die DorfbewohnerInnen davon?

  • Tausend EinwohnerInnen, tausend Schafe und tausend Gäste: Der vorgeschlagene Hotelwolkenkratzer würde die Dreifaltigkeit der Bündner Gemeinde Vals über den Haufen werfen (Blick nach Norden).
  • Gemeindepräsident Stefan Schmid: «Da machen wir jetzt schon ein bisschen Druck.»
  • 381 Meter Stahl, Beton und Glas: Der umstrittene Turm im Norden des Dorfes. Visualisierung: Morphosis Architects
  • Dorfkern, Hochwasserschutzwand, Valser Rhein.
  • Stall in italienisch beeinflusster Bauweise.
  • Neue Dorfbrücke aus Valser Quarzit.
  • Unternehmer Pius Truffer: «Wir wollten die Bombe einfach mal zünden.»
  • Bauchtänzerin Gerda Scheu: «Irgendwann wird der Bauer nicht mehr misten dürfen, weils nachher stinkt.»

«Das isch en Chlapf ines Dorf ie», sagt Gerda Scheu, «äso en hochä Turm.» Direkt vor ihrem Schlafzimmerfenster soll das 381 Meter hohe Hotelgebilde aus Stahl, Beton und Glas in den Valser Berghimmel wachsen – so hoch hinaus wie das Empire State Building in New York. Nichts, überhaupt nichts habe sie dagegen, wenn da oben beim Thermehotel gebaut werde, aber bei diesem Projekt – sie schüttelt energisch ihre dunkelroten Locken –, da werde der Bogen überspannt.

Vals ist nicht Manhattan. Das kleine Bündner Bergdorf liegt in einem engen Seitental, erreichbar nur über eine kurvenreiche, knapp einstündige Fahrt von Ilanz. Ganz hinten im Tal, bevor sich die Strasse zum Zervreila-Staudamm hinaufschraubt, führt die Gondelbahn im Winter hoch ins kleine Skigebiet mit drei Liften. Vorne, beim Taleingang, thront der Komplex des Thermehotels mit dem geschwungenen Hauptgebäude und den drei Hochhäusern aus den sechziger Jahren. Darin eingebettet liegt die von Peter Zumthor gestaltete und 1996 eröffnete Felsentherme. Sie hat Vals weit über die Landesgrenzen hinaus zu einer Destination für Architekturinteressierte gemacht.

Hier, inmitten des Thermekomplexes, soll auch der Turm zu stehen kommen – «tätsch uf dä Bodä», so Remo Stoffel, Immobilienunternehmer mit Valser Wurzeln und seit 2012 Besitzer von Hotel und Therme. Ein Luxusbau mit 107 Zimmern auf 82 Stockwerken für die globale Businesselite und ihre Entourage: Menschen, die bereit sind, pro Nacht bis zu 25 000 Franken hinzublättern.

Erfahren hat Gerda Scheu vom neuen Coup des Thermebesitzers und seines Valser Projektpartners Pius Truffer aus den Medien. Als die beiden ihren Turm der Valser Bevölkerung präsentierten, lag sie krank im Bett. Jetzt ist sie wütend. Wütend auf «die beide Herrä» mit ihren immer neuen tollkühnen Projekten im abgelegenen Bergdorf.

Stoffel will 300 Millionen in das Projekt investieren – aus dem eigenen Sack. An der Pressekonferenz in Zürich Ende März liess er Truffer über neuen Tourismus referieren, er selbst klammerte sich an handgeschriebenen Zetteln fest und konterte Fragen nach Businessplan und Marktstudie mit einem lapidaren «Als Unternehmer verlasse ich mich auf meinen Bauch». Medien landauf und landab sparten in der Folge nicht mit Häme.

«So viele Leute sind verletzt worden»

Gerda Scheu ist mit zehn Geschwistern in Vals aufgewachsen, zog später nach Deutschland, der Liebe nach, liess sich zur Bauchtänzerin ausbilden. Vor bald zwanzig Jahren kam sie zurück ins Bergdorf, arbeitete zwölf Jahre im Thermehotel. Jetzt führt sie in Chur eine orientalische Tanzschule. Anmutig und forsch zugleich bewegt sie sich durch ihre Wohnung, die üppig bestückt ist mit Teppichen, Bildern und antiken Möbeln. Den Kaffee serviert sie auf einem Tablett, dazu eine rote Plastikrose.

«Vals besteht nicht nur aus Remo Stoffel und Pius Truffer», sagt sie. Aber ihretwegen werde sie in Chur die ganze Zeit angesprochen. «Was heid iir wider für äs Theater z Vals», spotteten ihre Schülerinnen. «Die luegend ünsch langsam als Schpinner aa.»

Gerda Scheu hat in der «Südostschweiz» einen Leserbrief veröffentlicht. «Ich habe geschrieben, weil ich es so was von respektlos finde gegenüber sämtlichen Valsern, dass zwei Personen einer Heimat so ihren Stempel aufdrücken wollen mit diesem Turm.» Heimat … Sie macht eine ausladende Geste und zeigt mit dem Arm zum Panoramafenster der Stube, das den Blick auf das Dorfzentrum freigibt. «Das isch Heimat, wenn Sie da us luegend.»

Wer 25 000 Franken für eine Übernachtung im Turm zahle, der wolle kaum vom Läuten der Kirchenglocken geweckt werden. «Und irgendwann wird auch der Bauer nicht mehr misten dürfen, weils nachher stinkt. Wenn es so weit kommt, dann wird Vals zunehmend fremdbestimmt werden. Ich hoffe nur, dass die Leute im Dorf das auch erkennen.» Aber das Dorf ist gespalten, noch immer, davon ist Gerda Scheu überzeugt. «Vals hat seine Seele verloren, als die Gemeinde das Thermehotel verkauft hat.»

Das Dilemma bahnte sich vor rund zehn Jahren an, die laufenden Kosten für den Betrieb des Bads und das zunehmend sanierungsbedürftige Hotel belasteten die Gemeindekasse. Vals machte sich auf die Suche nach einem potenten Investor. Remo Stoffel unterbreitete der Gemeinde im September 2011 ein Kaufangebot. Plötzlich bekundete auch der Thermearchitekt Peter Zumthor Interesse. In der Folge entspann sich ein eigentliches Wettrüsten zwischen den Parteien. Die Gruppe um Zumthor schürte Bedenken gegen Stoffel, der in mehrere Strafverfahren im Zusammenhang mit Immobilieninvestments verwickelt war, und zweifelte seine Kreditwürdigkeit an (siehe WOZ Nr. 24/2012 ). Pius Truffer mobilisierte die Dorfjugend für eine Gegenkampagne, bei der als Zugabe eine grosse Mehrzweckhalle winkte. Die Tonlage im Vorfeld der Abstimmung wurde zunehmend gehässig.

Die Wogen glätteten sich nicht, nachdem das Hotel mitsamt Bad für knapp 7,7 Millionen Franken im März 2012 in den Besitz von Remo Stoffel übergegangen war: Der Gemeinderat, der Zumthors Angebot unterstützt hatte, trat geschlossen zurück, ebenso die Verwaltungsräte des Tourismusbüros und der Bergbahnen. Eine Gruppe «besorgter Valser Stimmbürger» kämpft bis heute mit juristischen Mitteln gegen den Verkauf an Stoffel.

Gerda Scheu hatte nie etwas dagegen, dass Stoffel das Hotel kauft – was sie kritisiert, ist die Art und Weise, wie der Verkauf zustande kam. «Da sind so viele Leute verletzt worden. Das wirkt bis heute nach.» Viele, die sich jahrelang für die Entwicklung des Dorfs und des ganzen Tals eingesetzt haben, seien frustriert, einige hätten ganz resigniert. «Eine Zeit lang ist Ruhe, und dann gibt es wieder einen Chlapf – wie jetzt mit dem Turm.»

Das 7132-Imperium frisst sich ins Dorf

Das Thermehotel heisst jetzt 7132, wie die Postleitzahl von Vals. Platzhirsch im Dorf war es schon immer, generiert es doch fast die Hälfte aller Hotelübernachtungen. Seit Mitte April ist die Saison zu Ende, Bad und Hotel sind geschlossen. Trotzdem herrscht reger Betrieb: Über dem Haupttrakt schwenken Krane ihre Arme, vor dem Haupteingang reihen sich die Autos der lokalen Handwerker: Maler Furger, Holzbauer Gartmann, Steinhauer Berni.

Es ist kurz vor zehn Uhr, die Handwerker sitzen um den Stammtisch im Café Schnyder schräg gegenüber vom Hotelkomplex. Normalerweise verführt die Theke des hellen, freundlichen Cafés mit vielerlei Broten und selbst gemachter Patisserie. Doch heute: nichts als ein paar Schinkensemmeln. Eigentlich ist auch das «Schnyder» geschlossen, aber für die Handwerker vom Thermehotel öffnet es am Morgen für eine kurze Znünipause.

Seit Remo Stoffel das Café mitsamt dem Hotel Garni Schnyder 2014 gekauft hat, ist überhaupt nichts mehr wie früher. Zwar taucht Koni Schnider, der für seine Nussgipfel bis ins Unterland berühmt war, nun als Teil des «7132»-Teams auf der Website des Thermehotels auf. Aber wenn das Café im Juli wieder öffnet, wird er weg sein. Zu schwierig sei die Zusammenarbeit gewesen, sagt er. Stoffel hat im Thermehotel die Küchen komplett neu gestaltet, dazu gehört auch eine eigene Backstube. Er hat Schnider verboten, weiterhin Brot zu backen und Patisserie herzustellen. Die Angestellten wissen nicht, wie es im Juli für sie weitergehen wird.

Stoffels 7132-Imperium ist seit dem Kauf mächtig angeschwollen: Rund achtzig Prozent der Eigentumswohnungen im zentralen Block des Thermekomplexes hat er sich einverleibt. Auch das Land im Boda, zwischen den Valser Mineralquellen und der Post, das aufgrund von Erbteilungen in unzählige Einzelparzellen zersplittert ist, hat er gekauft: Parzelle um Parzelle um Parzelle.

So frisst sich das 7132-Imperium immer weiter ins Dorf hinein. Das Hotel Glenner im Zentrum gehört mittlerweile ebenso dazu. Weitere Liegenschaften im Dorf sind ebenfalls in Stoffels Besitz. Manche ValserInnen witzeln bereits untereinander: «Sag, hat er dein Haus noch nicht kaufen wollen?» Viele äussern aber auch Bedenken darüber, dass zu viel in dieselben Hände gerät. Warum zeigte Stoffel so grosses Interesse an der Sennerei? Die Bauern der Sennereigenossenschaft haben einen Verkauf abgelehnt – seither beziehe Stoffel dort nichts mehr für das Frühstücksbuffet im Thermehotel.

Vom Café Schnyder bis zur Post sind es nur wenige Schritte, die Sonne blendet warm vom Südende des Tals. Geissen grasen am Strassenrand, ihre Glöckchen bimmeln. Die vorbeifahrenden Autos haben alle GR-Nummernschilder, und das Postauto hat den kurvenreichen Weg von Ilanz hoch nach Vals ohne einen einzigen Passagier gemacht: Nur der Chauffeur steigt aus und zündet sich eine Zigarette an. Auch der gepflästerte Dorfplatz auf der andern Seite des Valser Rheins ist leer – der Gemeindepräsident ist noch nicht da.

Er und seine vier GemeinderatskollegInnen haben seit ihrer Wahl im Mai 2012 einiges an Kritik einstecken müssen. Die Hotelübernachtungen sinken seit 2009, die Sportbahnen schreiben horrende Defizite. Allein im vergangenen Jahr war es eine halbe Million Franken – bei einem Umsatz von weniger als 1,8 Millionen.

Abstimmung in weiter Ferne

Nun kommt er doch noch, der Gemeindepräsident Stefan Schmid. Sein Job bei den Valser Mineralquellen habe ihn aufgehalten. Gemeindepräsident ist er nur im Nebenamt. Davon zeugt auch sein Büro im Gemeindehaus oberhalb vom «Glenner»: Es ist grau, kahl und muffig. Schmid öffnet ein Fenster, setzt sich hinter den grossen, leeren Tisch. Ja, die Präsentation vor der Gemeinde, da hätten auch sie vom Gemeinderat das Projekt zum ersten Mal gesehen. «Also, ich selber kann es mir einfach noch nicht vorstellen», sagt Schmid, «und ich nehme an, das geht auch den meisten Bürgern so.»

Grundsätzlich, findet er, passe das Turmprojekt mit seinem Luxusanspruch schon zum Tourismusleitbild von Vals, das Qualität vor Massentourismus stelle, «deshalb haben wir auch dieses Tuusig-tuusig-tuusig so stark in ünscherm Leitbild verankert.» Also: tausend EinwohnerInnen, tausend Gäste, tausend Schafe. «Wenn man jetzt halt einfach das Volumen sieht, da braucht es schon noch mehr Abklärungen und vor allem Diskussionen im Dorf.» Von der 7132 AG erwartet er einen sauberen Businessplan und zusätzliche Sicherheiten, dass die Finanzierung stimmt, Sicherheiten auch für den Fall, dass das Konzept nicht aufgeht.

«Ich bin kein Finanzspezialist», sagt Schmid, «aber dass Remo Stoffel das 300-Millionen-Projekt aus eigenen Mitteln finanzieren will, hat bei mir schon ein grosses Fragezeichen hinterlassen.» Wenn keine Bank oder Versicherung involviert sei, die eine Garantie abgeben könne, dann brauche es einen externen Finanzexperten, der Einblick in Stoffels Bücher nehmen dürfe.

Zu den Zweifeln an Stoffels Kreditwürdigkeit gebe er keine Auskunft – und gibt dann doch eine Einschätzung ab: «Vonseiten der Gemeinde besteht kein Grund anzunehmen, dass Remo Stoffel seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen wird.» Was vor ein paar Jahren passiert sei … da «bringt es doch nichts, das immer wieder aufzukochen». Stoffel habe seit dem Hotelkauf viel im Dorf investiert und in diesem Zug vielen Firmen in Vals Arbeit verschafft.

Was Schmid beschäftigt, sind all die Abklärungen, die der Gemeinderat jetzt so rasch als möglich treffen sollte. Immerhin wollen Stoffel und Truffer ihr Turmprojekt noch vor Ende des Jahres der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegen. Die erste Hürde, die es auf diesem Weg zu nehmen gilt, ist eine Revision des Zonenplans für die Dorfteile Boda und Camp. Da müsse die 7132 AG mit den verbliebenen EigentümerInnen, die ihr Land nicht hergeben wollen, eine Lösung finden. Und zwar gütlich. «Dann hat die Abstimmungsvorlage auch bessere Chancen beim Stimmbürger.»

Zuvor stehen indes noch eine Reihe geologischer Abklärungen an – vor allem wegen der Mineralquelle im Camp: Besteht die Gefahr, dass der Turm mit seinem Volumen und Gewicht die Quelle verschütten könnte? «Ist die technische Machbarkeit nicht gegeben, ist das Projekt nicht bewilligungsfähig», sagt Schmid.

Am meisten drängt sowieso die noch immer ungelöste Frage der Mehrzweckhalle. «Da machen wir jetzt schon ein bisschen Druck auf die 7132 AG, damit die 2012 abgegebenen Versprechen auch eingehalten werden.» Remo Stoffel hat der Gemeinde erst gut 1,7 Millionen Franken für den Hotelkauf überwiesen – die restlichen sechs sind an den Bau der Mehrzweckhalle gebunden, an die auch die Gemeinde sechs Millionen zahlen muss. «Bevor wir nicht die Sache mit der Mehrzweckhalle geklärt haben, werden wir nicht mit dem Turmprojekt vor die Gemeinde treten.» So schnell wird es also nicht zu einer Abstimmung über den Turmbau zu Vals kommen.

Bloss ein PR-Gag?

Draussen, im gleissenden Sonnenlicht des frühen Nachmittags, führen wenige Stufen vom Gemeindehaus runter zur Valléestrasse, der Hauptstrasse durch das Dorf. Die Terrasse vom «Glenner», dem einzigen geöffneten Restaurant im Dorf, ist gut besetzt mit Einheimischen und den letzten, braun gebrannten Tourenskifahrern.

Vordergründig scheint das Turmprojekt hier niemanden gross zu beschäftigen – namentlich zitiert werden möchte man dann aber doch lieber nicht. «So was Verrücktes, da glaubt keiner im Dorf daran», ist ein Satz, der immer wieder fällt. Viele bezeichnen den Turm als PR-Gag. Aber es gibt auch nachdenklichere Stimmen. «Mir fällt auf, dass man mit niemandem überhaupt ernsthaft ins Gespräch kommt über die möglichen Probleme, die uns drohen», sagt ein Dorfbewohner. «Meine Angst ist, dass die Leute irgendwann plötzlich realisieren, dass mit ihrem Dorf etwas geschehen ist, wo sie gar nicht dabei gewesen sind. Im schlimmsten Fall merkt man so viel zu spät, dass Stoffel und Truffer unsere Seele verkauft haben.»

«Die beiden Herren da, die erzählen immer, es gehe ihnen ums Dorf – das nehme ich ihnen einfach nicht ab», ereifert sich ein anderer. «Das machend schi für sich.» Wenn Stoffel mit Vals Geld verdienen könne, dann liebe er Vals, und wenn er mit Vals kein Geld verdienen könne, dann interessiere ihn Vals «en Schiissdräck». Das scheint dann doch einige im Dorf umzutreiben: Was passiert, wenn Stoffel den Bettel hinschmeisst und geht? Wenn da dann plötzlich eine Bauruine am Dorfeingang steht, die das Dorf auf Jahrzehnte hinaus negativ prägt?

Rund zwanzig Millionen Franken hat Remo Stoffel nach eigenen Angaben bislang in die Sanierung und den Ausbau des Thermehotels investiert. Und das, heisst es rundum, war gut und wichtig für das Dorf.

Zwar steht Vals im Vergleich zur Region noch immer gut da, nicht zuletzt dank seiner Ressourcen: Der Zervreila-Staudamm generiert Energie, die Quellen speisen einen Mineralwasserbetrieb und ein einmaliges Thermalbad, der Valser Quarzit wird um die halbe Welt exportiert. Doch rundherum sterben die Dörfer aus. Uors etwa, auf halbem Weg von Vals nach Ilanz gelegen, hat das Schulhaus schon vor Jahren schliessen müssen.

In Vals sind die SchülerInnenzahlen in den vergangenen 25 Jahren mehr oder weniger stabil geblieben. Doch was sind die Zukunftsperspektiven für die Jugend im Dorf? «Viele suchen mit dem Feldstecher nach Arbeit», sagt ein Einheimischer. Immer mehr Arbeit gehe «ds Tal uss», weil der Konkurrenzdruck unter den Handwerkern steige.

Pius Truffer bildet mit seinem Steinbruch hinten im Tal eine Ausnahme: Der Familienbetrieb mit 55 Angestellten gebe den Leuten im Dorf Arbeit und bezahle gut, heisst es. Da sehen es ihm manche nach, dass er «ab und an aus den Schienen springt» und etwas Verrücktes macht.

«In die Extreme gehen»

Truffer, gross und hager, sitzt am langen, dunklen Tisch in der ganz in Schwarz gehaltenen Küche seines Hauses und grinst. «Wir wollten die Bombe einfach mal zünden», sagt er und meint natürlich den Turm. Wenn es um Architektur geht, kommt er ins Schwärmen. Für Architektur ist er schon um die halbe Welt gereist, hat es geschafft, Stararchitekten wie Thom Mayne, Tadao Ando und Kuma Kengo nach Vals zu holen, damit sie seinen Hotelvisionen Gestalt verleihen. Auch mit Peter Zumthor habe er damals den Kontakt aufgegleist.

Truffers Küche erinnert selbst entfernt an Zumthors Felsenbad: eng und verwinkelt der Zugang, hoch wie eine Kathedrale der lang gestreckte Raum, vom schwarzen Gebälk hängt ein riesiger Kronleuchter. «In die Extreme gehen», das reizt Pius Truffer. «Können wir etwas machen, zu dem man sagt: ‹Gopfertori, das isch en neue Approach!›? Etwas, das zum Denken anregt – ob man es jetzt baut oder nicht.»

Tourismus in den Bergen. Darum geht es ihm. «Ich würde gerne eine Veranstaltung dazu ins Leben rufen, analog zum Wef in Davos – die besten Touristiker und Ökonomen, die besten Denker würde ich hier in Vals versammeln, um über Tourismus nachzudenken und eine Diskussion in Gang zu bringen.»

Für einen Moment formuliert Truffer auf Hochdeutsch. «Wir Bergler verkaufen uns zu billig – äs mues äswie tüürer werde.» Dafür steht der Turm. Er soll Leute nach Vals holen, die bereit sind, «Wahnsinnsbeträge» für eine Suite in den oberen Stockwerken liegen zu lassen. Beträge, die dann teilweise ins Dorf zurückfliessen und so neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen. «Am liebsten würde ich sagen: Die Bergbahnen sind gratis!» Seine ausgebreiteten Arme schwingen empor, die Augen leuchten vor Begeisterung.

Die Begeisterung erlischt mit der Erinnerung an jenen Tag Ende März, als Remo Stoffel und er das Turmprojekt den Medien präsentierten. «Das war für mich eine sehr heikle Geschichte», seine Stimme stockt, «wie soll ich sagen, wir haben da nicht grad die gleichen Gedanken und Absichten. Und das auf einen guten Nenner zu bringen, ist nicht so einfach.» Er zögert erneut. «Aber was wir in Vals machen wollen … ich will, dass das Geld gut investiert wird, dass es am richtigen Ort investiert wird. Ich muss zu Remo Stoffel stehen. Ich kann mich nicht verstecken.»

Die Differenz zwischen den beiden liegt in ihren Visionen: Pius Truffer träumt von einer einzigartigen, architektonisch beflügelten Hotelkultur – Remo Stoffel will Geld verdienen. Letztes Jahr hat er die Zimmerpreise im Thermehotel sowie die Preise für den Badeintritt verdoppelt. «Das hätten wir sensibler angehen sollen», sagt Truffer rückblickend. Die Übernachtungen im Thermehotel nehmen bereits seit der Übernahme 2012 steil ab. Das treibt ihn um, ihn, den eine lange Geschichte mit dem Thermehotel verbindet. Einst hat er höchstpersönlich den Hoteldirektor wegspediert und sich auf seinen Sessel gesetzt – ohne die geringste Ahnung, wie man ein Hotel führt. «Das war eine Wahnsinnserfahrung.»

Sie wiederholt sich gerade: Er und Stoffel leiten die Geschicke der 7132 AG im Alleingang. Widerstände, sagt Truffer, die sei er gewohnt. «Früher, als ich für die Felsentherme gekämpft habe, da kannte ich gar nichts.» Oft sei er allein gegen das ganze Dorf angetreten, aus Überzeugung, diesen Weg gehen zu müssen. Aber so wolle er nicht mehr auftreten. Er wirkt plötzlich müde. «Ich bin kein Missionar, der den Leuten begreiflich machen will, dass man unbedingt so ein ‹narra›* Gebäude aufstellen muss.»

Ende April hat Remo Stoffel in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» erklärt, er werde nicht weiter investieren in Vals, falls die Bevölkerung der Änderung des Zonenplans für den Turmbau nicht zustimme.

Und Gerda Scheu hat wieder einen Leserbrief geschrieben: «Lassen wir Valser uns von Versprechungen und Drohungen blenden?»

* Valserisch für «riesig».

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

Förderverein ProWOZ unterstützen