Visionen: Tennismania
Auf den Titelseiten der Tageszeitungen war einmal mehr nur roter Sand zu sehen. «Stantastisch!», lautete eine der Schlagzeilen. Aus dem Radio klang die in Sachen Tennis vertraute Stimme von Sportreporter Bernhard Schär: Nach Roland Garros auf Sand folge Wimbledon auf Rasen, nicht Wawrinkas bevorzugter Belag, aber wenn er mental stark bleibe, sei erneut ein Exploit möglich … Auch auf den Strassen kein Entkommen vor den Tennisspielern, von fast jeder Plakatwand lächeln sie. Roger Federer, der Wunschschwiegersohn, wirbt für Autos von Mercedes Benz, für Konten bei der Credit Suisse, für den Champagner von Moët & Chandon. 56 Millionen Dollar verdiente Federer gemäss dem US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» im letzten Jahr: vier Millionen in Preisgeldern, den Rest aus der Vermarktung – im Verhältnis ist das Weltrekord. Stan Wawrinka, der einstige Steiner-Schüler, wirbt zwar erst für Autos von Subaru, Konten bei der Waadtländer Kantonalbank und das Wasser von Evian, doch erzielt auch er mit Werbung bereits Millionen.
Als Federer im Burj Khalifa, dem höchsten Gebäude von Dubai, seinen Champagnervertrag präsentierte, gestand er ein, dass er lange Zeit Mühe gehabt hätte, Anzüge zu tragen. So berichtet es die «Schweizer Illustrierte», die in Dubai vor Ort war. Federer habe sich deshalb gezwungen, zum Abendessen stets einen Anzug zu tragen. «Plötzlich fand ich, dass nicht der Anzug mich trägt, sondern ich den Anzug. Irgendwann wurde es ein Hobby.» Vermutlich liegt darin die eigentliche Berufung der Tennisspieler: dass sie für uns die Anzüge tragen und uns durch die Warenwelt geleiten, als Vertrauenspersonen im globalisierten Markenkapitalismus. Auch die im Swiss-Englisch ausgesprochenen Vornamen Roger und Stan vermitteln ja irgendwie zwischen Heimat und Welt.
Nun also als Nächstes die Spiele von Wimbledon, davor Roger mit einer Kaffeemaschine von Jura, danach Stan mit einer Sonnenbrille von Visilab. Und keine Ausflucht, nirgendwo, noch nicht einmal in die Musik: «Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren», hat die Band Tocotronic einmal gesungen. «Das Spiel ist sicherlich nicht schwierig zu kapieren. Ich wäre ganz bestimmt ein anderer, als ichs jetzt bin. Es wäre unbedingt ein Leben mit mehr Sinn.»