Medientagebuch zur «Nowaja Gaseta»: Die letzte Bastion

Nr. 26 –

Anna Jikhareva über die drohende Schliessung der russischen «Nowaja Gaseta»

Die FreundInnen des kritischen Journalismus in Russland sind schlechte Nachrichten gewohnt. So war wohl niemand überrascht, als Dmitri Muratow im März das finanzielle Ende seiner «Nowaja Gaseta» verkündete. Im Mai werde die Printausgabe eingestellt, sagte der Chefredaktor der wichtigsten unabhängigen Zeitung des Landes. Inzwischen ist Ende Juni, die Zeitung erscheint immer noch dreimal wöchentlich. Die wirtschaftliche Situation sei geklärt, man verhandle mit InvestorInnen, heisst es auf Anfrage.

Dennoch lässt sich am Beispiel der «Nowaja Gaseta» ablesen, wie die Kontrolle kritischer Medien in Russland funktioniert. Eines der beliebtesten Instrumente ist das Budget. Der Kreml überschüttet linientreue Produkte direkt oder über staatsnahe Unternehmen mit Subventionen. Zeitgleich werden Anzeigenkunden und Investorinnen unbequemer Medien eingeschüchtert oder vergrault.

Diesen Mechanismus hat auch die «Nowaja Gaseta» zu spüren bekommen. Die Zeitung gehört zu 51 Prozent dem Redaktionskollektiv, weitere zehn Prozent hält Expräsident Michail Gorbatschow. Die restlichen 39 Prozent sind im Besitz von Alexander Lebedew. Im März kündigte der Oligarch dann überraschend seinen Ausstieg aus der Finanzierung an. Zu gross sei der behördliche Druck auf ihn und seine Unternehmen geworden, sagte er. Dass Chefredaktor Muratow zeitgleich vom Ende der Zeitung sprach, ist kaum Zufall.

Auch sonst erlebt die Zeitung dunkle Zeiten: Kein anderes russisches Medium hat so viele Tote zu beklagen. Fünf RedaktorInnen haben ihre Recherchen mit dem Leben bezahlt, darunter auch das internationale Aushängeschild der Redaktion. Die preisgekrönte Reporterin Anna Politkowskaja war 2006 erschossen worden. In der westlichen Öffentlichkeit hat die «Nowaja Gaseta» damit traurige Berühmtheit erlangt. In Russland hingegen schockieren die Todesfälle schon lange kaum jemanden mehr. Sie haben vor allem den Effekt, dass Medien sich selbst zensieren.

Im Westen wird die «Nowaja Gaseta» für Investigativrecherchen verehrt, die den ReporterInnen immer wieder renommierte Preise einbringen. So sorgten zuletzt auch Berichte über den Krieg in der Ukraine für Aufsehen: Im März erschien etwa ein Interview mit einem russischen Soldaten. Eine Reporterin hatte ihn in einem ostukrainischen Spital aufgespürt – und damit die Präsenz russischer Truppen im Nachbarland bewiesen. Der Text erschien unter anderem in der «NZZ am Sonntag». Recherchen wie diese haben der Zeitung zu Recht ihr Image als letzte Bastion des kritischen Journalismus in Russland eingebracht.

Gleichzeitig zeigt sich im Widerspruch zur heimischen Wahrnehmung die perfide Kreml-Logik. In Russland erreicht die «Nowaja Gaseta» mit einer Auflage von 250 000 Exemplaren vergleichsweise wenige LeserInnen. Vor allem ausserhalb der Grossstädte beziehen viele ihre Informationen sowieso lieber über das Staatsfernsehen.

So sorgen die Berichte im Westen für Aufsehen – und dienen dem Regime gleichzeitig als Beleg für angeblich herrschende Pressefreiheit. Für die JournalistInnen hat dieses Phänomen zwei Seiten: Sie werden vermutlich auch weiterhin alle finanziellen Probleme lösen und unabhängigen Journalismus betreiben können. Doch trotz ihrer kritischen Recherchen werden sie auch den Interessen des Kremls dienen.

Anna Jikhareva schreibt für die WOZ über Osteuropa und Zentralasien.