Nach den Wahlen: Es drohen vier eiskalte Jahre
Das Resultat war tausendfach vorausgesagt worden. Am Ende überhöhte sich die selbsterfüllende Prophezeiung selbst: Am Sonntag fand kein Rechtsrutsch statt, sondern ein Rechtsaussenrutsch. Die FDP gewann nur leicht, die rechtsnationale SVP aber erreichte so viele WählerInnen wie noch nie.
Dass etablierte Medien nach der Wahl von ExtremistInnen wie Andreas Glarner, Barbara Steinemann, Jean-Luc Addor oder Erich Hess (alle SVP) von einer «Rückkehr zur Normalität» schrieben, zeigt, dass der jahrelange Aushang von Plakaten mit Messerstechern, schwarzen Schafen, schwarzen Stiefeln und zuletzt ein Gagasong die Hirne gehörig vernebelt haben.
Völkerwanderung, Völkerwanderung, Völkerwanderung – SVP-Präsident Toni Brunner hämmerte das Wort am Sonntag in jedes Mikrofon. Die Wahlen sind nach der Annahme der sogenannten Masseneinwanderungsinitiative Ausdruck einer fortgesetzten Spaltung der Schweiz. Es tobt ein Kulturkampf: ein mythisch verklärtes Gestern gegen die Realität von morgen. In Stans «stören» vier wartende Eritreer vor dem Coop; in Zürich ist es alltäglich, beim Pakistaner einzukaufen und im Innenhof portugiesisch zu sprechen.
Die SVP bietet in diesem Kampf eine Klubmitgliedschaft für alle mit Schweizer Pass, das Programm kommt frei Haus: Welcome to SVP. Es ist wie in einem Gottesdienst der freikirchlichen ICF: eine hermetische Wohlfühloase – zutiefst reaktionär, aber im modernen Kleid. Ein Angebot ausschliesslich für jene, die bereit sind, sich von der Welt da draussen loszusagen.
Der Wahlherbst wurde als «Gagawahlkampf» bezeichnet. Präziser ist: Es war ein Wahlkampf im Zeichen des Marketings, in dem Parteien wie Unternehmen geführt und politische Positionen auf Wahlbörsen gehandelt werden. Der Wahlkampf war die inszenierte Vermessung der Demokratie: Berechnungen statt Debatten, Balkendiagramme statt Gedankenflüsse. Politik als Zahlenspielerei. Machterhalt als einzige Maxime.
Auch die SP setzte vor allem auf Mobilisierung. Sie führte einen durch und durch professionalisierten und teilweise erfolgreichen Mobilisierungswahlkampf, mit dem sie dank Tausender Stunden Freiwilligenarbeit die Basis reaktivierte. Das Wahlresultat in Zürich zeigt, dass die SP eine breite Volkspartei mit Bewegungscharakter sein kann – von einer konsequent linken Mattea Meyer bis hin zu einem weitherum beliebten Daniel Jositsch. Der Basiswahlkampf legte ein solides Fundament für die Zukunft, wenn er sich jetzt nicht in 100 000 Telefonanrufen erschöpft hat. Denn es gibt auch Kritik aus dem Innern der Partei: Die SP habe auf reine Mobilisierung ohne echten Wahlkampf gesetzt. Was war schon wieder ihr Thema: «Typisch SP»?
Arbeitslosigkeit, AusländerInnen, Altersvorsorge – die SP hätte auf die grössten Sorgen der Bevölkerung passende Antworten. Nur kamen sie diesen Herbst zu wenig, zu zögerlich, zu leise.
Nach den Wahlen steht nun vor allem die FDP unter Erklärungszwang. Das Ziel, die SP zu überholen, hat sie klar verpasst. Wenn sie sich der SVP nicht als Juniorpartnerin andienen will, muss sie sich emanzipieren. Bei den Themen Europa und Menschenrechte ist die Unvereinbarkeit ihrer Positionen offensichtlich. Das sollte sie bei den Bundesratswahlen nicht vergessen.
Für die Linke wird es künftig nicht einfach. Ihr taktisches Geschick in der letzten Legislatur wird nicht reichen, um existenzielle Fragen wie das Verhältnis zu Europa und die Altersvorsorge zu klären.
Die neuen Machtverhältnisse im Nationalrat deuten auf vier eiskalte Jahre. Die Verteidigung der Institutionen wird zwar bitter nötig sein. Dennoch sollte sich die Sozialdemokratie nicht auf eine staatstragende Rolle im Ständerat beschränken, um ihren Ruf einer konservativen Kraft nicht noch zu verstärken. Eine progressive, bisweilen auch oppositionelle Alternative ist gefordert. Wenn sich nun die Grünen endlich von ihren Bundesratsfantasien lösen, kommen interessante Zeiten auf die Linke zu.
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