Der Iran und die Schweiz: Die Träume der anderen
Der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Ammann setzt bei einem öffentlichen Treffen mit dem iranischen Amtskollegen zu einer mutigen Frage an: «Wie stehen Sie zur Todesstrafe?» Vielleicht tut er dies beim Präsidialbesuch in Teheran Ende Februar, vielleicht schon am derzeit laufenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Das ist der Traum von Nima Pour Jakub. Der 28-jährige iranische Menschenrechtsaktivist sass selbst monatelang in geheimdienstlicher Isolationshaft und wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, worauf er in die Schweiz floh.
Doch Schneider-Ammann, der auch als Bundespräsident ganz Wirtschaftsminister bleibt, hat einen anderen Traum: «Jetzt geht es nicht nur ums Beschnuppern, sondern es geht echt ums Handeln», sagte er am Montagabend in einem TV-Interview, «das wird unserer Wirtschaft guttun.»
Das ist, helvetisch variiert, der Tenor, der gerade aus vielen europäischen Hauptstädten ertönt. Seit der Atomdeal und damit das Ende der meisten Sanktionen ab 2014 absehbar wurden, gaben sich Wirtschaftsdelegationen aller «Exportnationen» in Teheran die Klinke in die Hand. Der Iran mit seinen bald achtzig Millionen meist gut gebildeten EinwohnerInnen gilt als guter Produktionsstandort und profitabler Markt.
Die Schweiz hat als langjährige Schutzmacht der USA im Iran den Dialog zwischen den beiden Antagonisten begünstigt und sich dadurch beim Regime in Teheran auch wirtschaftspolitisch in Position gebracht. Überhaupt geniesst die Schweiz im Iran viele diplomatische Privilegien. Die Regierung sollte sie nicht nur in den Dienst der heimischen Unternehmen stellen, sondern auch Einfluss auf weniger erfreuliche Entwicklungen im Gottesstaat nehmen.
Auf die katastrophale Menschenrechtssituation etwa: Nirgendwo sonst auf der Welt werden relativ zur Bevölkerungszahl mehr Todesurteile vollzogen. Die Richter verhängen meist genau die Strafe, die der Geheimdienst in seiner Anklageschrift empfohlen hat. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen sind so allein 2015 – mehrheitlich wegen Drogendelikten – über tausend Menschen hingerichtet worden. Auch solche, die zum Zeitpunkt ihrer mutmasslichen Tat minderjährig waren. Heute warten Tausende auf die Vollstreckung ihres Todesurteils; oftmals müssen sie über Jahre immer damit rechnen, gehängt zu werden. Das alles ist Teil eines umfassenden Systems der Repression.
Ein guter Schweizer Wirtschaftsvertreter wird da sagen: Die politischen Fortschritte werden durch die wirtschaftliche Öffnung noch zunehmen; am Schluss gewinnen alle. Leider ein naiver Traum. Schon der Atomdeal war nicht ein Ausdruck des politischen Fortschritts, sondern der Schwäche des Regimes. Es war durch Misswirtschaft, Korruption, Unruhen und die Sanktionen in eine schwere Krise geraten.
Die Macht des Regimes beruhte auf drei Pfeilern: der Repression im Inland, der Einflussnahme in der Region und dem Atomprogramm. Nun ist die iranische Atombombe ein ferner Traum geworden. Da ist es logisch, dass die beiden verbleibenden Pfeiler verstärkt werden. Seit dem Abschluss des Atomdeals im vergangenen Sommer setzt das Regime umso mehr seine Interessen in Syrien durch. Seither sind auch besonders viele Todesurteile vollstreckt worden. Und soeben hat der Wächterrat fast alle Reformkandidaten von der Parlamentswahl Ende Februar ausgeschlossen.
Präsident Hassan Rohani wirkt zwar auf internationalem Parkett deutlich angenehmer als sein Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad, aber die tatsächliche Politik ist unter ihm im In- und Ausland aggressiver geworden. Er bleibt Teil eines Regimes, dessen Ziel es nicht ist, das Land zu entwickeln, sondern schlicht: sich an der Macht zu halten und zu überleben.
Keine Frage: Der Atomdeal und das Ende der ärgsten Sanktionen sind positiv. Die wirtschaftliche Öffnung kann breiten Bevölkerungsschichten zugutekommen. Aber das Regime wird dadurch seinen repressiven Kurs genauso wenig ändern wie etwa die Führungen in China oder Saudi-Arabien. Dazu bräuchte es Druck von aussen. Was für ein Traum, wenn es dem Schweizer Bundespräsidenten da jetzt echt ums Handeln ginge.