Kinofilm «Pipeline»: Unterwegs in Alaska

Nr. 3 –

Ein junger Techniker landet auf dem Flughafen von Fairbanks, Alaskas zweitgrösster Stadt. Von hier aus soll er per Auto zu einem nicht näher definierten Reparaturauftrag an einer Pipeline in die Weiten des nördlichsten US-Bundesstaats aufbrechen. Der schon von Beginn an eher verstört als tatkräftig wirkende junge Mann, fiebrig intensiv vom französischen Schauspieler und Filmemacher Antonin Schopfer verkörpert, fährt los, offenbar entschlossen, seinen einsamen Auftrag möglichst schnell hinter sich zu bringen. Doch als er nach gut zwanzig Filmminuten erstmals an der Pipeline steht, ist bereits absehbar: Den Zweck seiner Reise wird er nicht gleich und auch nicht in zwei Monaten erfüllen.

«Pipeline» ist das Protokoll einer Reise ins Nichts, ein Film über einen, der in Alaskas Einsamkeit langsam den Verstand verliert. Erzählt in eindringlichen Bildern und begleitet von bald nervösen, bald elegischen E-Gitarren-Klängen, kommt der Erstling von Gabriel Bonnefoy fast ohne Worte aus – gesprochen wird nur in imaginären Telefonanrufen oder in Monologen im Off. Zwar begegnet der Mann an Raststätten und Parkplätzen noch anderen Menschen, und irgendwann nimmt er sogar eine aus dem Nichts aufgetauchte junge Anhalterin (Pauline Schneider) mit. Aber eine Kommunikation mit der – offenbar stummen – Frau findet so wenig statt wie mit allen anderen Personen, die für den Mann aus einer anderen, für ihn nicht mehr zugänglichen Welt zu stammen scheinen.

Wäre «Pipeline» schon vor drei Jahren an den Solothurner Filmtagen gelaufen, hätte Regisseur Bonnefoy dafür bestimmt das Etikett «radikales Kino» verpasst bekommen, dem damals ein Schwerpunkt gewidmet war. Darin, wie die Figurenzeichnung bewusst auf jegliche psychologische Erklärungsmuster verzichtet, begleitet von einem ständigen Wechsel zwischen subjektiver Kamera und Aussensicht, erinnert «Pipeline» an Filme der jungen griechischen Nouvelle Vague oder an den Mexikaner Carlos Reygadas.

Allerdings muss man geografisch gar nicht so weit gehen, denn sieht man sich das filmische Umfeld an, in dem sich der 1987 geborene Franzose bisher bewegte, fällt vor allem ein Name auf, der kurz nach der Jahrtausendwende wie kaum ein anderer für «radikales Kino» in der Schweiz stand: Vincent Pluss, der mit dem preisgekrönten Low-Budget-Beziehungsdrama «On dirait le Sud» (2002) einen der kühnsten Schweizer Filme der letzten Jahrzehnte realisierte. 2008 legte der Genfer Regisseur mit «Du Bruit dans la Tête» nach, einem Drama um einen psychisch angeschlagenen jungen Mann. In beiden Filmen war Gabriel Bonnefoy als Schauspieler mit von der Partie: in «On dirait le Sud» in einer wichtigen Nebenrolle, in «Du Bruit dans la Tête» dann als Hauptdarsteller.

Als Koautor des Drehbuchs ist nun Vincent Pluss wiederum massgeblich an «Pipeline» beteiligt. Von ihm, der sich 2008 leider als Regisseur aus der Filmszene verabschiedet hat, kann man nur hoffen, er werde dereinst auf seinen Entscheid zurückkommen.

In: Solothurn, Kino Canva, Sa, 23. Januar 2016, 21 Uhr, und Kino Canva Club, Mo, 25. Januar 2016, 12.15 Uhr.

Pipeline. Regie: Gabriel Bonnefoy. Schweiz 2016