Nach der Entrechtungsinitiative: Macht selber Politik!
Der letzte Sonntag gab ein gutes Gefühl, auch wenn das Ergebnis hinter dem Ergebnis empört. Nun tritt ein Gesetz in Kraft, das kaum weniger schlimm ist als das nun verhinderte. Trotzdem: Was bei dieser Abstimmung passiert ist, hätte längst passieren sollen – 2010, als die Ausschaffungsinitiative zur Abstimmung kam, oder spätestens im Februar 2014, als über die «Masseneinwanderungsinitiative» abgestimmt wurde. Damals haben zu viele gedacht, Abstimmungen seien etwas für LangweilerInnen und Alte. Aber dann brauchen sich die (laut Umfragen meist jungen) Stimmabstinenten nicht zu wundern, wenn sie plötzlich in einem ganz anderen Land aufwachen, weil die «Dosierung des Terrors» seine Wirkkraft entfaltet hat, wie Stefan Gärtner Sebastian Haffner zitiert (vgl. «Von oben herab: Jein» ).
Diesmal ist es gelungen, die Abstinenten wachzurütteln. Über Facebook, Plakataktionen und im persönlichen Gespräch. Allen sei Dank, die am «Awakening» mitgewirkt haben.
Es erinnert tatsächlich an Oliver Sacks’ «Zeit des Erwachens». Der kürzlich verstorbene Psychiater beschrieb darin, wie PatientInnen von ihm, die an der Europäischen Schlafkrankheit litten, dank eines Medikaments zu sich kamen und beglückt am Leben teilnahmen.
Wach durch die Welt zu gehen und sich zu engagieren, macht glücklich. Anders als bei Sacks hat Engagement auch keine Nebenwirkungen (das Medikament musste abgesetzt werden, die Leute versanken wieder in Apathie). «Politik selber machen» muss das neue Credo werden. Denn in den letzten Jahren hat sich der Politbetrieb professionalisiert. Man spendet an WWF, Greenpeace oder Amnesty International, wie man früher der Kirche einen Obolus für seinen Ablass zahlte. Die sollen es dann richten. Das tun sie auch – hochkompetent, mit aufwendigen Kampagnen, aber es ist oft blutleer. So wird niemand politisiert. Früher besetzte eine Generation das Baugelände des AKWs Kaiseraugst, eine andere blockierte das Gelände in Neuchlen-Anschwilen, um einen Waffenplatz zu verhindern. Nicht dass früher alles besser war, aber es war konkret und lebendig.
Gut, dass diese Abstimmung daran angeknüpft hat. Umso mehr, als die nächste Runde bereits begonnen hat. An diesem Donnerstag kommt eine Reihe rechter Vorstösse ins Parlament (vgl. «Rechtsbürgerliche Kammerspiele» ). So verlangt die SVP-Fraktion erneut, die Antirassismus-Strafnorm aufzuheben. Sie ist seit 1994 in Kraft, die Rechte hat bereits fünfmal ihre Abschaffung verlangt. Beim letzten Mal lehnte das Parlament 2014 eine entsprechende SVP-Motion ab. Am selben Tag reichte die SVP-Fraktion eine neue Motion mit derselben Forderung ein. So funktioniert diese Partei.
Es hat etwas von einem trotzigen Kind – bis man merkt: Es ist Gehirnwäsche. Die SVP-Leute sind deren erstes Opfer. Sie kennen nur Standardsätze und sondern sie ab wie Roboter. Wer versucht, mit ihnen zu diskutieren, verliert. Denn Roboter kennen keine Zweifel.
Die nächste Roboterdebatte steht an. Die «Selbstbestimmungsinitiative». Sie will Landes- über Völkerrecht stellen. Sie diffamiert den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und will die Menschenrechtskonvention (EMRK) aufkünden. Alle europäischen Staaten, ausser das diktatorisch geführte Weissrussland und der Vatikan, anerkennen den EGMR. Und die griechischen Obristen waren die Einzigen, die – während ihrer Militärdiktatur – jemals die EMRK sistiert haben.
Die Konvention trat 1953 in Kraft, weil man nach den Nazigräueln nicht umhinkam zu akzeptieren, dass Menschen und Institution unter dem Druck des «dosierten Terrors» bereit sind, schlimmste Grausamkeiten mitzutragen. Der EMRK den Rücken zu kehren, würde bedeuten, den Weg für staatliche und juristische Willkür frei zu machen. Es hiesse, die Schweiz zu einer Bananenrepublik zu machen.
Die Ausmarchung läuft bereits. Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Eine gewonnene zeigt aber auch, dass sich weitere gewinnen lassen. Doch es braucht stetes Training – viele kluge, vergnügte, angriffige, freche, beherzte Aktionen. Von gewöhnlichen Leuten, für gewöhnliche Leute, um wach zu bleiben.