Besuch bei einem Rebzüchter: «Reben, die es hier schaffen, überleben fast überall»

Nr. 13 –

Reben müssen sich selber wehren können: Nach dieser Devise züchtet Valentin Blattner neue Rebsorten. Und er hat Erfolg damit. Seine pilzwiderstandsfähigen Reben könnten sogar bald schon in Thailand wachsen.

Valentin Blattner, Rebzüchter: «Die Viecher flüchten alle zu mir in den Rebberg.»

Auf dem langen Holztisch dampft das Mittagessen aus den Töpfen: Vollkornreis, würzige Pouletstücke, Gartenbohnen mit Knoblauch. Valentin Blattner schenkt dazu erst Weisswein der Sorte 32–7 aus, später einen roten Cabernet Jura. Er schwenkt sein Glas, riecht kurz daran und zieht zum ersten Schluck etwas Luft durch die Zähne. «Ein guter Wein polarisiert – manche lieben ihn, anderen schmeckt er gar nicht», sagt der 58-Jährige. «Aber er bleibt auf jeden Fall in Erinnerung.» Beide Weine sind Blattners eigene Sorten: Neben der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope ist er der Letzte, der in der Schweiz neue Rebsorten züchtet.

Ins Ökosystem einbetten

Wir sitzen in der hellen Wohnküche von Blattners Holzhaus, ein paar Autominuten ausserhalb des jurassischen Dorfs Soyhières. Eigentlich ein unmöglicher Ort, um Reben anzupflanzen: zu feucht, zu wenig Sonne. Doch die schwierigen Voraussetzungen passen bestens zu Blattners Vorhaben. Er entwickelt Rebsorten, die sich möglichst aus eigener Kraft gegen die Krankheiten wehren können, die die Schweizer Rebstöcke üblicherweise plagen: die Pilzkrankheiten Grauschimmelfäule, Echter und Falscher Mehltau, verschiedene Milben und seit einigen Jahren auch Krankheiten, die das Holz der Rebstöcke befallen. «Der Krankheitsdruck hier in Soyhières ist sehr hoch», erklärt Blattner. «Reben, die es hier schaffen, können an vielen anderen Orten erst recht überleben.»

Die Rebberge sind von grossen Mais-, Raps- und Weizenfeldern umgeben. «Monokulturen ohne Platz für die Viecher», sagt Blattner. «Die flüchten alle zu mir in den Rebberg.» Er deutet zwischen die Rebstockreihen: Dort wachsen Winterkresse, wilder Nüsslisalat und seltene Disteln. Wiesenameisen haben kleine Haufen aufgeschichtet; im Sommer sei hier alles voller Schmetterlinge.

Valentin Blattners Spezialität sind Weine von sogenannten pilzwiderstandsfähigen Reben, kurz Piwi-Sorten. Sie müssen wenig bis gar nicht mit Pflanzenschutzmitteln gespritzt werden. Das schont den ganzen Rebberg. «Man soll nicht einen Rebberg kreieren müssen, damit die Rebe überleben kann», erklärt Blattner. «Mein Ziel sind Reben, die sich in ein bestehendes Ökosystem einfügen können.» Er hält gar nichts von der umstrittenen Behandlung mit Kupfer, die im Bioweinbau gestattet ist. «Kupfer ist Gift für den Boden und seine Mikroorganismen! Ich versuche, meine Sorten genetisch so auszurüsten, dass sie selber mit den Krankheiten klarkommen.»

Das führt zu einem weiteren Vorteil der Piwi-Rebsorten: Sie sind günstiger zu bewirtschaften. «Dieses Argument leuchtet immer mehr Weinbauern ein», sagt Blattner. Ins Geld gingen ja nicht allein die Spritzmittel: Auch beim Keltern seien gespritzte Trauben oft aufwendiger und daher teurer in der Verarbeitung.

Mittlerweile sind Blattners Piwi-Weine preisgekrönt. Immer öfter entwickelt er neue Rebsorten im Auftrag anderer; gerade eben für einen wohlhabenden Firmenbesitzer, der in Thailand den Weinbau etablieren will.

Zu diesem Zweck stapeln sich im Wintergarten vor Blattners Haus zahlreiche offene Kisten, gefüllt mit kleinen Erdwürfeln. Darin zieht Blattner mehrere Hundert Sämlinge einer Rebsorte. Nach ein, zwei Jahren werden die jungen Rebstöcke dann mit einem Krankheitserreger infiziert. Einige werden die Infektion abwehren: Sie besitzen in ihrem Erbgut besondere Gene, dank deren sie einen Pilzbefall früher als andere Reben erkennen können. So kann die Pflanze ihre Abwehrmechanismen rechtzeitig in Gang bringen. Pflanzen mit diesen Genen kreuzt Blattner weiter mit solchen, die die Infektion mit einer anderen Rebkrankheit überlebt haben. Die widerstandsfähigsten Kreuzungen wiederum werden auf Resistenzen gegen weitere Krankheiten gezüchtet oder aufs Überleben in speziellen klimatischen Bedingungen getestet – etwa in Thailand.

Blattners Weg zum Rebzüchter war steinig. So kassierte er zu Beginn saftige Bussen, weil die «On farm»-Forschung an neuen Züchtungen in der Schweiz verboten war. Die Zusammenarbeit mit den ForscherInnen von Agroscope sei zumeist schwierig, die Zulassung neuer Sorten in der Schweiz zu kompliziert, sagt er – und bringt darum seine Sorten via Deutschland auf den Markt. «Denn was in der EU zugelassen ist, darf auch in der Schweiz angebaut werden – ungeachtet dessen, ob die Sorte ursprünglich in der Schweiz entwickelt wurde.» Er tippt sich vielsagend an die Stirn.

Internationale Vernetzung

Doch Blattner lehnt die moderne Züchtungswissenschaft nicht ab. Etwa die Untersuchung des Erbguts: Gene, die eine Pflanze resistent gegen eine bestimmte Krankheit machen, lassen sich einfach mit einem Marker kennzeichnen. Die ForscherInnen untersuchen die gezüchteten Pflanzen nun einfach nach dem entsprechenden Marker – statt, wie Blattner, die Widerstandsfähigkeit einer Pflanze im Feld zu beobachten. «Die Markermethoden können die traditionelle Züchtung in bestimmten Fällen unterstützen», sagt Blattner. «Aber die Feldversuche sind trotzdem unvermeidlich: Auch wenn die Rebe mit einer bestimmten Krankheit klarkommt, kann sie immer noch für eine andere anfällig sein. Die Markermethoden fokussieren nur auf die guten Gene, schlechte werden nicht angezeigt.»

Blattner hat sich vor allem mit ZüchterInnen im Ausland vernetzt. Er hält Vorträge an Hochschulen und hat immer wieder StudentInnen zu Besuch, die beim aufwendigen Bestäuben helfen. «Das ist das Schöne an meiner Arbeit: gemeinsam draussen im Rebberg zu arbeiten, mit der Sonne im Gesicht.» Sagt es, und wir flüchten vor dem einsetzenden Regen ins Haus.