Kulturpolitik Luzern: Mit der Pistole auf der Brust

Nr. 20 –

208 Millionen für ein multifunktionales Theaterhaus: Luzern ringt um einen Entscheid über eine Salle Modulable. Es geht um Prestige, Umarmungsversuche und Verteilkämpfe.

Sitzreihen aus dem Untergrund, Balkone, die sich wie Lifte bewegen, und ein Orchestergraben, der sich wie aus dem Nichts auftut: Modell der grossen Bühne in der Salle Modulable.

Der Streit ist heftig. Die Bauherren der Salle Modulable schwärmen von einer «Vision» und von einer «einmaligen Chance». Luzern soll «Weltspitze» werden. Wer es hingegen nüchterner sieht, spricht von Grössenwahn. Dem widerspricht die fürs Kulturelle zuständige Luzerner Stadträtin Ursula Stämmer (SP) vehement: «Wir sind nicht grössenwahnsinnig, wir wollen den Kulturstandort Luzern weiterentwickeln.»

Die geplante Salle Modulable ist eine faszinierende Kiste. Im Internet verfügbare Computeranimationen zeigen, wie Sitzreihen modulartig aus dem Untergrund herausfahren und sich im Raum verschieben, ein Orchestergraben entsteht und verschwindet wieder, Balkone bewegen sich als Lifte an den Wänden. Klassisches Guckkastentheater ist möglich, aber auch Raumtheater, in dem das Publikum mitten im Geschehen sitzt.

Die Idee stammt vom kürzlich verstorbenen Komponisten Pierre Boulez, und der Intendant des Lucerne Festival, Michael Haefliger, treibt sie weiter: Das Klassikfestival soll künftig zusätzlich Opernfans aus aller Welt anziehen und in der Salle Modulable mit Spitzenaufführungen verwöhnen. «Daneben kann die Salle Modulable aber auch Kulturinteressierte aus der ganzen Bevölkerung ansprechen», sagt Michael Haefliger, «die Veranstaltungen sollen für jedermann erschwinglich sein, das ist uns sehr wichtig.» Beim Lucerne Festival hat er diesen Anspruch eingelöst. Vor Jahrzehnten war es eine elitäre Veranstaltung der GrossbürgerInnen, gesponsert etwa von der Waffenfabrikantenfamilie Bührle. Heute ist es offener, es gibt viele Gratiskonzerte, und selbst bei Spitzenorchestern sind Konzertkarten für dreissig Franken erhältlich.

Der Sponsor will mitreden

Bei der Salle Modulable geht es den Bauherren – die private Stiftung Salle Modulable, die Stadt und der Kanton – zunächst vor allem um die internationale Ausstrahlung und die Tourismusförderung. Luzern sei kein Chemie- und kein Bankenplatz, sagt Stadträtin Stämmer, die Stadt müsse sich da weiterentwickeln, wo sie stark sei, und das sei in der Kultur. Dem stimmen auch Linke wie der SP-Kantonalpräsident David Roth zu. «Ich bin dafür, dass wir in die Infrastruktur investieren und Stärken festigen.» Nicht einverstanden ist Roth aber mit der Art, wie die Bauherren den LuzernerInnen die Salle Modulable aufs Auge drücken würden. Der Butterfield Trust des inzwischen verstorbenen Spenders Christoph Engelhorn will achtzig Millionen Franken spenden. Das Geld liegt auf den Bahamas und stammt aus dem Verkauf des Pharmakonzerns Boehringer-Mannheim an Roche. Beim Verkauf wurden Milliarden am deutschen Fiskus vorbei auf den Bahamas parkiert, legal, aber äusserst unschön für die deutschen SteuerzahlerInnen. Nun will der Trust allerdings auch mitreden: Er verlangt, dass bis Ende 2018 sämtliche Volksabstimmungen unter Dach und Fach sind und die Salle Modulable in Gehdistanz zum Bahnhof gebaut wird. Die Bauherren haben nun die kleine Grünzone «Inseli» beim Bahnhof und in Nachbarschaft zum KKL als Standort ausgewählt. «Die Standortwahl ist vereinbar mit den Bedingungen für die Schenkung», sagt Hubert Achermann von der Stiftung Salle Modulable, «das neue Theaterhaus soll im urbanen Zentrum zu einem Gravitationsschwerpunkt für die ganze Bevölkerung werden.» Dieser Standort sei nun klar festgelegt, und die Bevölkerung könne darüber entscheiden.

Man kann das aber auch anders sehen: Der Trust setzt den LuzernerInnen die Pistole auf die Brust. Spuren sie nicht, verfällt das Geld, und die Salle Modulable ist gestorben. Dieses Szenario ist möglich, denn das «Inseli» ist ein sehr beliebter Park, und die Bevölkerung wird ihn kaum für die Salle Modulable hergeben wollen. Die Juso wollen ihn zudem mit einer Initiative schützen und ausbauen. SP-Kantonalpräsident David Roth sagt: «Wir akzeptieren die ‹Vogel, friss oder stirb›-Politik nicht, wir fordern gemeinsam mit den Grünen einen alternativen Standort.»

Widerstand kommt auch vom Landschaftsschutzverband Vierwaldstättersee. Präsident Urs Steiger sagt: «Es geht hier um eine wichtige Stadtentwicklung, und die muss in einem demokratischen Prozess diskutiert werden können. Wir werden uns mit allen Mitteln gegen den Standort Inseli einsetzen. Wir sind für eine landschafts- und städtebaulich verträgliche Lösung.»

Neben dem Butterfield Trust sollen Stadt und Kanton 93 Millionen und Private 35 Millionen bezahlen. Die Behörden sehen die Spende als Chance. Sie argumentieren, das bestehende, 175 Jahre alte Luzerner Theater müsse ohnehin saniert oder neu gebaut werden.

Tausend offene Fragen

Fest steht, dass das Lucerne Festival die Salle Modulable nur während weniger Festivalwochen nutzen wird. Nicht klar ist, wie das Haus mit seinen 750 Plätzen übers Jahr lokal genutzt werden soll: Weder ist bekannt, was die Inhalte sind, noch wie das Haus betrieben werden soll. Um das zu klären, holen die Bauherren weitere Partner ins Boot. Dazu gehören das Luzerner Sinfonieorchester, das Kulturzentrum Südpol, das Luzerner Theater und die freie Theater- und Tanzszene. Nun erarbeiten sie hinter den Kulissen ein Betriebskonzept, und dabei stehen sie unter riesigem Zeitdruck; schon am 27. November sollen die StadtluzernerInnen über ein Baurecht und über einen Projektierungskredit entscheiden.

Vor allem für einen der vorgesehenen Partner, die freie Theaterszene, ist die Beteiligung ein Abenteuer. Denn das Ziel ist eine Zusammenarbeit mit dem festen Ensemble des Luzerner Theaters. «Wir denken den Theaterplatz Luzern neu», sagt die Schauspielerin und Regisseurin Annette Windlin, die als Vertreterin des Berufsverbands der freien Theaterschaffenden (Act) am Betriebskonzept mitarbeitet.

Noch gebe es tausend offene Fragen, sagt Windlin. Es geht unter anderem um mehr Mittel für die chronisch unterfinanzierte freie Szene, und es geht um die Ausrichtung auf regional Gewachsenes oder auf internationale Gastspiele. «Es muss lokal produziert und nicht nur extern eingekauft werden», sagt Windlin. Und sie stellt klar: «Wir sind auch nicht bereit, als Feigenblatt für die politische Durchsetzung der Salle Modulable herzuhalten.» Im Moment sei man aber auf Augenhöhe unterwegs, die Stimmung sei positiv.

Auch die Stiftungsratspräsidentin des Luzerner Theaters, Birgit Aufterbeck Sieber, ist überzeugt von der geplanten Kooperation. «Wir sind sozusagen in einer Umarmungsfunktion. Wir loten aus, wie wir uns gemeinsam weiterentwickeln können. Das ist einmalig in ganz Europa.»

Das Luzerner Theater muss dabei herausfinden, wie es mit seinen drei Sparten Schauspiel, Musiktheater und Tanz in der Salle Modulable heimisch werden kann. «Wir müssen herausfinden, wie sich das Haus anfühlen soll, damit Smoking wie Rucksack gerne kommen», sagt die Stiftungsratspräsidentin. «Wenn das Haus nur einer Publikumsrichtung gehört, ist das fatal.» Die Kooperationsgespräche verunsichern die rund 350 MitarbeiterInnen des Luzerner Theaters. Sie sorgen sich um ihre Arbeitsplätze, vor allem aber um die Identität als produzierendes Theater.

Noch ist nichts entschieden, und viele LuzernerInnen sind skeptisch. Sie erleben mit, wie Stadt und Kanton wegen der bisher erfolglosen Tiefsteuerpolitik ständig sparen müssen. Etwa in der Bildung: So gibt es dieses Jahr eine Woche Zwangsferien für die Berufs- und MittelschülerInnen. «Wir stecken in einer finanziell schwierigen Situation», räumt der für Bildung und Kultur zuständige kantonale Regierungspräsident Reto Wyss (CVP) ein, «doch das heisst nicht, dass wir nicht mehr gezielt in den Standort respektive den Kulturstandort Luzern investieren sollen.»

Besonders skeptisch sind die Kulturschaffenden, die sich nicht zur etablierten Kulturszene zählen. Sie befürchten Verteilkämpfe. Zwar soll der Etat fürs Theaterschaffen von bisher 24 Millionen Franken auf neu 31 Millionen Franken in der Salle Modulable anwachsen. Doch diese Summe beinhaltet auch die beträchtlichen Unterhalts- und Betriebskosten für das teure Hightechhaus.

«Dieser Betrag wird nicht ausreichen», prophezeit Kulturveranstalter Adrian Albisser, der selber der nicht etablierten Kulturszene angehört. Er ist Kopräsident des Musikerzentrums Sedel sowie einer der InitiantInnen für die erfolgreiche Zwischennutzung des früheren Luzerner Hallenbads (Neubad) und ist jüngst für die SP ins Stadtparlament gewählt worden. «Schon heute geht der Löwenanteil der Kulturgelder an die grossen Kulturbetriebe, und das Ungleichgewicht wird sich verschärfen. Es darf nicht passieren, dass die grossen Kulturbetriebe mit Elefantenfüssen das lokale Kulturschaffen sedieren. Auch der lokale Humus braucht Pflege.» Kulturveranstalter Albisser fordert nun eine Erklärung zu den Inhalten der Salle Modulable und klare Vorstellungen zu den Betriebskosten im Verhältnis zum gesamten Kulturaufwand. «Ansonsten», prophezeit er, «wird es in der nicht etablierten Kulturszene geballten Widerstand gegen die Salle Modulable geben.»

Mit «Zückerli» erkauft

VertreterInnen der nicht etablierten Kulturszene setzen auf den sogenannten Kulturkompromiss. Das ist eine Luzerner Besonderheit, die auf den Bau des 226 Millionen Franken teuren Kultur- und Kongresshauses (KKL) vor über zwanzig Jahren zurückgeht. Damals erkauften sich die Behörden das Ja der Alternativszene zum KKL mit «Zückerli». Eines war das selbstverwaltete Kulturzentrum Boa. Doch die Boa wurde verdrängt, sie wurde das erste prominente Opfer der Gentrifizierung. Als Ersatz gabs das Kulturzentrum Südpol, doch viele wurden dort nie heimisch.

Seither hat sich dieser Prozess laufend verschärft. «Viele Ateliers und private Kulturräume gingen verloren», sagt Tom Burri, Kopräsident der Interessengemeinschaft Kulturraum Boa (Iku Boa), die auch heute noch aktiv ist: «Für die etablierten Kulturhäuser wird mit der grossen Kelle angerichtet, doch die nicht etablierte Kultur wird verdrängt.» Burri fordert eine neue Austarierung des Kulturkompromisses. Dasselbe fordern auch die SP und die Grünen im Kantonsrat. Sie verlangen von der Regierung eine Roadmap, wie der Kulturkompromiss neu ausgehandelt werden kann. Eine Idee aus dem nicht etablierten Kulturkuchen steht bereits im Raum: Aus dem alten Luzerner Theater soll, sofern es in die Salle Modulable umziehen kann, ein Kultur- oder Volkshaus entstehen. Aber zunächst mal raucht es gehörig in den Köpfen.

Sponsor scheiterte in Genf

Auch in Genf versuchte ein Kultursponsor, stark mitzubestimmen: Der Kunstsammler Jean Claude Gandur wollte mit vierzig Millionen Franken eine Erweiterung des Museums für Kunst und Geschichte mitfinanzieren.

Als Gegenleistung hätte der Sammler, der seine Milliarden im Erdölgeschäft machte, einen eigenen Saal erhalten und bei der Kuratierung von Ausstellungen mitreden wollen. Das lehnten die GenferInnen im Februar an der Urne ab.