Dienstleistungsabkommen Tisa: Eine Gefahr für uns alle
Kommenden Mittwoch feiert die Schweiz ihr Jahrhundertprojekt, alle werden auf den Gotthardbasistunnel blicken. Am selben Tag findet in Paris eine Konferenz statt, die das Jahrhundert weit stärker prägen dürfte als der neue Tunnel. Doch kaum jemand weiss davon. Denn die Öffentlichkeit ist ausgesperrt, wenn in Paris über das Trade in Service Agreement (Tisa) verhandelt wird – das sogenannte Dienstleistungsabkommen, an dem neben der Schweiz die USA, die EU und zwanzig weitere Länder beteiligt sind. Verhandelt wird über fast alles, was wir zum Leben und Zusammenleben brauchen: das Gesundheitswesen, die Telekommunikation, die Energieversorgung oder das Bildungswesen.
Besonders an der Pariser Konferenz ist, dass erstmals auf Ministerebene über das Tisa verhandelt wird. Ein Indiz, dass es auf die Zielgerade zugeht. Tatsächlich bestätigt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das im Auftrag des Bundesrats beim Tisa mitverhandelt, dass das Abkommen Ende 2016 stehen soll. Ansonsten gibt sich das Seco weit weniger auskunftsfreudig: Es weigert sich bis heute, nur schon das Verhandlungsmandat zu veröffentlichen.
Um die Sprengkraft des Abkommens zu verstehen, muss man zurückblicken. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag der globale Handel darnieder. Um ihn anzukurbeln, wurde zunächst das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) abgeschlossen, aus dem später die Welthandelsorganisation (WTO) hervorging.
Der Freihandel diente vor allem dem reichen Norden. Die Länder des Südens begannen, sich immer mehr dagegen zu wehren. Der Streit kulminierte in der Doha-Runde, die 2003 grandios scheiterte. Die Entwicklungs- und Schwellenländer verlangten unter anderem einen Abbau der Agrarsubventionen in den reichen Ländern, die Industriestaaten gingen nicht darauf ein.
Seither ist innerhalb der WTO kein neues Freihandelsabkommen zustande gekommen. Um ihre Interessen trotzdem durchzudrücken, setzen die reichen Länder auf Handelsabkommen, die sie mit willigen Partnern ausserhalb der WTO schliessen. Deren Anzahl ist inzwischen unüberschaubar.
Das TTIP ist so ein Abkommen, das Transatlantische Freihandelsabkommen, das zurzeit zwischen der EU und den USA – ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit – verhandelt wird. Oder eben das Tisa, von dem einflussreiche Schwellenländer wie China oder Indien, die sich querstellen könnten, ausgeschlossen sind.
Während der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen das TTIP stetig wächst, bleibt es um das Tisa angesichts der Stossrichtung des Abkommens gefährlich ruhig.
Ursprünglich wurde das Tisa von der US-amerikanischen Global Service Coalition angestossen, der Banken, Finanzdienstleister und Internetkonzerne angehören. «Längst sind die Strategen der Konzernzentralen global besser vernetzt und kundiger als die Beamten vieler Regierungen. Die wiederum lassen sich deswegen oft gern von den eloquenten Lobbyisten helfen», konstatiert die deutsche Wirtschaftsjournalistin Petra Pinzler in ihrem lesenswerten Buch «Der Unfreihandel».
Das Tisa will möglichst alle Dienstleistungen zur internationalen Handelsware machen. Das kann bedeuten, dass im Gesundheitsbereich die Kantone künftig verpflichtet sein werden, international agierende Privatspitäler auf die Spitallisten zu setzen. Oder dass die Krankenkassen ihre KlientInnen bald in die Türkei schicken, weil Behandlungen dort billiger sind.
Was im Detail im Abkommen steht, soll die Öffentlichkeit erst erfahren, wenn das Tisa-Abkommen fertig verhandelt ist. Die Privatwirtschaft allerdings durfte schon mitreden. Die WOZ hat, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, kürzlich vom Seco eine Liste von «informellen Treffen des Seco mit Vereinigungen» im Rahmen der Tisa-Verhandlungen erhalten. Die Bilanz: Von den insgesamt zwölf Treffen fand nur ein einziges mit einem nichtstaatlichen Thinktank statt, alle andern mit Wirtschaftsverbänden. Das Parlament hat übrigens auch nicht viel zu melden: Es darf am Ende einfach Ja oder Nein zum Abkommen sagen. Mehr nicht.
Minuten vor Redaktionsschluss sind auf der Enthüllungsplattform Wikileaks neue Tisa-Dokumente aufgetaucht. Besonders brisant ist der nun publizierte Vorschlag der USA, dass sich Staatsbetriebe künftig «in Bezug auf Marktentscheidungen wie ein privater Anbieter verhalten müssen».