Dienstleistungsabkommen Tisa: «Gute Freunde», ganz unter sich
Bei den Verhandlungen über das Dienstleistungsabkommen Tisa bleibt die Zivilgesellschaft aussen vor.
In Genf finden seit vier Jahren die Verhandlungen über das Dienstleistungsabkommen Tisa (Trade in Services Agreement) statt. Eine Gruppe von fünfzig Staaten – darunter die Schweiz –, die sich selbst «sehr gute Freunde von Dienstleistungen» nennen, verhandeln dabei neue Rahmenbedingungen im globalen Handel. Es geht um das Gesundheitswesen, die Telekommunikation, die Energieversorgung, das Bildungswesen – um fast alles, was wir zum Leben brauchen.
Dass diese «guten Freunde» fast nur reiche Industrieländer sind, ist kein Zufall. Denn es sind die Entwicklungs- und Schwellenländer, die bei den stockenden Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation einem weiteren Liberalisierungskurs im Dienstleistungssektor kritisch gegenüberstehen. Tisa ist also zunächst einmal eine Umgehungsautobahn der reichen Länder, um Handelshemmnisse abzubauen und Marktzugänge zu deregulieren.
Bisher zu wenig Druck
Doch sind die Entwicklungs- und Schwellenländer nicht die einzigen Abwesenden an den Verhandlungen. Auch die Zivilgesellschaft ist bisher weitgehend davon ausgeschlossen. Die beteiligten AkteurInnen – für die Schweiz ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) federführend dabei – informieren nur lückenhaft. Diese Intransparenz ist demokratiepolitisch stossend. Die Zivilgesellschaft erzeugte bisher schlicht zu wenig Druck, um das zu ändern.
Die grossen Firmen im Dienstleistungssektor und ihre Lobbygruppen sind da schon viel weiter. Das verdeutlicht ein Dokument, das die WOZ, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, kürzlich vom Seco erhalten hat. Darin aufgelistet sind die «informellen Treffen mit Vereinigungen» innerhalb der letzten drei Jahre, an denen «Vertreter der Schweizer Tisa-Verhandlungsdelegation» teilgenommen haben. Die Bilanz: Von den insgesamt zwölf Treffen fand nur ein einziges mit einer nichtstaatlichen Organisation statt – und alle weiteren ausschliesslich mit Wirtschaftsverbänden.
Auch auf europäischer Ebene zeigt sich dieses krasse Ungleichgewicht: Die deutsche Netzaktivistin Katharina Nocun hat im letzten November 51 Dokumente von Lobbytreffen der Generaldirektion Handel veröffentlicht – von jener Behörde also, die für die Europäische Union am Tisa-Verhandlungstisch sitzt. Das Fazit auch hier: Wirtschaftsverbände sind viel stärker in die Verhandlungen eingebunden als zivilgesellschaftliche oder gewerkschaftliche AkteurInnen. Der Einfluss der Wirtschaftsverbände geht sogar noch tiefer: Gemäss einer Studie der beiden kanadischen Politikwissenschaftler Scott Sinclair und Hadrian Mertins-Kirkwood steht am Ursprung der Tisa-Verhandlungen eine Initiative der US Coalition of Services Industries, der Lobbygruppe der US-Dienstleistungskonzerne.
Beispiel TTIP-Widerstand
Höchste Zeit, dass die Zivilgesellschaft erwacht und ihre Mitwirkung am Tisa-Verhandlungsprozess einfordert. Auch die linken Parteien und die Gewerkschaften sollten – wie es der VPOD schon länger tut – endlich aktiver werden. Sonst droht im Dienstleistungssektor bald enormer Privatisierungsdruck, von dem am Ende vor allem die global tätigen Konzerne profitieren.
Der Widerstand gegen Tisa könnte sich ein Beispiel nehmen an jenem gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Dass sich dessen Verhandlungen verzögern und die Durchsetzung dieses Abkommens weit schwieriger ist, ist dem Widerstand einer breiten zivilgesellschaftlichen Bewegung und der damit verbundenen öffentlichen Debatten in vielen europäischen Ländern zu verdanken. Der Widerstand gegen Tisa sollte an diese Bewegung anknüpfen – auch in der Schweiz. Zumal ein anderes, bisher unveröffentlichtes Seco-Dokument aufzeigt, dass die Anfrage der Schweiz, ob das TTIP-Abkommen auch für Drittstaaten offen sei, geklärt ist: «Die Antwort war positiv.» Die Tür zum TTIP-Beitritt der Schweiz ist definitiv offen.