Dienstleistungsabkommen: Das bezeichnende Schweigen der Rechten

Nr. 22 –

Endlich formiert sich breiter Widerstand gegen das Dienstleistungsabkommen Tisa. Die Partei, die bei jeder Gelegenheit die «Volkssouveränität» beschwört, stellt sich derweil tot.

«Die SVP Schweiz hat sich noch nicht mit dem Dienstleistungsabkommen Tisa im Detail beschäftigt», sagt das Generalsekretariat der «Volkspartei» auf Anfrage der WOZ.

Die Antwort ist doppelt erstaunlich. Denn die Tisa-Verhandlungen, an denen die Schweiz beteiligt ist, laufen seit über drei Jahren, Ende 2016 sollen sie abgeschlossen sein, rechtzeitig bevor US-Präsident Obamas Amtszeit abgelaufen ist. Viel Zeit bleibt also nicht mehr, um sich mit einem Abkommen zu beschäftigen, dessen Auswirkungen massiv sein werden. Schliesslich geht es um alles, was wir zum Leben und Zusammenleben brauchen: das Gesundheitswesen, die Telekommunikation, die Energieversorgung oder das Bildungswesen. Die Passivität der SVP überrascht vor allem, weil das Tisa ein Frontalangriff auf die von der Partei stets hochgehaltene «Volkssouveränität» ist. Die Verhandlungen könnten nämlich unsouveräner nicht laufen. Ein parlamentarisches Mandat dafür gibt es nicht, das Seco verhandelt im Auftrag des Bundesrats. Das Parlament darf am Ende bloss Ja oder Nein zum Abkommen sagen. Mehr nicht. Von der Bevölkerung ganz zu schweigen: Sie steht nicht nur vor geschlossenen Verhandlungstüren, unter Umständen wird sie zum Abkommen rein gar nichts zu sagen haben. Dann nämlich, wenn das Parlament entscheidet, das Tisa-Abkommen dereinst nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Die SVP wird in dieser Hinsicht eine entscheidende Rolle spielen.

Der einsame Rufer im Wald

Andere politische AkteurInnen sind wachsamer als die SVP. Stefan Giger, Generalsekretär der Gewerkschaft VPOD, beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahren intensiv mit dem Tisa-Abkommen. Das heisst, er hat vor allem Übersetzungsarbeit geleistet, und die ist nötig. Die bisher öffentlichen Verhandlungsdokumente sind nämlich in einem völlig unverständlichen englischen Fachjargon verfasst, den nur Fachleute verstehen. Ein Umstand, der dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das im Auftrag des Bundesrats beim Tisa mitverhandelt, offenbar gerade recht kommt: Die – bewusst unvollständige – Tisa-Dokumentation auf der Seco-Website bietet jedenfalls keinerlei Übersetzungsarbeit an.

Erst letzte Woche hat die Enthüllungsplattform Wikileaks zum wiederholten Mal bisher geheim gehaltene Tisa-Verhandlungsdokumente publiziert. Giger hat auch diese Dokumente studiert und übersetzt. Sie bestätigen seine bisherige Analyse, dass mit dem Tisa der staatliche Handlungsspielraum im Dienstleistungsbereich zurückgefahren werden soll – zugunsten privater Unternehmen. «Gemäss einem Dokument der US-amerikanischen Verhandlungsdelegation sollen sich Staatsbetriebe künftig wie ein privater Anbieter auf dem Markt verhalten. Das hätte gravierende Auswirkungen», sagt Giger und bringt ein Beispiel: «Die Industriellen Betriebe Aarau planen derzeit, ein Fernwärmenetz aufzubauen. Die Wärme soll die Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) in Buchs liefern, an der über hundert Aargauer Gemeinden beteiligt sind.» Ein solches Projekt wäre künftig gefährdet, weil die KVA Buchs ihre Abwärme auf dem freien Markt und eben nicht zweckgebunden absetzen müsste, so Giger. Ausserdem sehe der Tisa-Anhang zum Energiesektor vor, dass Regulierungen technologieneutral sein müssten. Wäre das vorgesehene Netz also mit Erdöl günstiger zu betreiben als mit Abwärme, müssten die Industriellen Betriebe Aarau auf Erdöl setzen.

Lange Zeit war Stefan Giger ein einsamer Rufer in der Wüste. Als er im Frühjahr 2014 erstmals eine Pressekonferenz zum Thema Tisa organisierte, blieb der Saal leer. «Das mediale Interesse am Thema ist bis heute sehr bescheiden geblieben», sagt der VPOD-Generalsekretär. Aber die links-grünen Parteien seien nun erwacht, ebenso diverse NGOs. Und auch in der Zivilgesellschaft nehme er ein zunehmendes Interesse wahr. «Der Widerstand gegen das Tisa hat endlich eine kritische Grösse erreicht. Nun geht es darum, ihn zu bündeln.»

Widerstand auch gegen das TTIP

Genau diese Bündelung vollzieht sich zurzeit. Unter Federführung der Juso hat sich in den letzten Wochen ein breites, nationales Bündnis gegen das Tisa formiert. In diesem Bündnis machen die Grünen, die Jungen Grünen und die SP mit, ebenso die Gewerkschaft VPOD, der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS), Greenpeace, die globalisierungskritischen Bewegungen Alliance Sud und Attac Schweiz sowie die Digitale Gesellschaft, die sich für die Verteidigung von Grund- und Menschenrechten im digitalen Raum einsetzt. Lokal bestehen bereits sehr aktive Bündnisse, etwa in Genf, Basel und in der Bodenseeregion.

Am 21. Juni wird das Bündnis erstmals vereint vor die Medien treten. Der Widerstand richtet sich dabei nicht nur gegen das Tisa, sondern auch gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA, das zurzeit ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird. Die Schweiz ist bisher nicht an den Verhandlungen beteiligt, kann sich aber anschliessen, wie die zuständige EU-Kommission versichert hat. Und bereits wird öffentlich Druck gemacht: Es ist kein Zufall, dass die wirtschaftsnahe NZZ diese Woche ein Hohelied auf das TTIP veröffentlicht hat. Die Verknüpfung von Tisa und TTIP hat auch strategische Gründe: «Wir wollen ein möglichst breites Bündnis aufstellen», sagt Juso-Präsident Fabian Molina. So seien die Bauern vom Tisa wohl nur marginal betroffen, vom TTIP hingegen ganz klar. «Wir wissen mittlerweile, dass die Produktionsstandards aufgeweicht werden sollen. Zudem akzeptieren die USA geografische Herkunftsangaben nicht», sagt Molina. Tatsächlich steht das Bündnis im regen Austausch mit dem Schweizer Bauernverband (SBV). Zur aktiven Mitarbeit im Bündnis ist der SBV aber (noch) nicht bereit. «Solange die genauen Inhalte des Abkommens nicht bekannt sind, ist eine Beurteilung schwierig», heisst es vonseiten des Verbands.

Sechs Anfragen – eine Antwort

Die WOZ hätte von der SVP gerne gewusst, wie sie zum Tisa steht. Was sagt der tonangebende neoliberale Flügel der Partei zum gigantischen Liberalisierungsprojekt Tisa? Wie steht der bäuerliche Flügel dazu? Wieso ist die Partei derart passiv angesichts des Frontalangriffs auf die «Volkssouveränität»?

Von den sechs angefragten SVP-ParlamentarierInnen, die in der Aussenpolitischen Kommission sitzen, wo das Tisa schon mehrfach behandelt wurde, reagierte bloss eine. Nationalrätin Yvette Estermann antwortete erfrischend deutlich: «Ich bin gegen solche Abkommen wie Tisa oder TTIP. Die Schweizer Bevölkerung kann damit fast nichts gewinnen, wohl kann sie aber einiges verlieren!» Ansonsten: Schweigen.

Immerhin in einem Punkt redet die Partei Klartext: «Die SVP setzt sich grundsätzlich für die direkte Demokratie und Stärkung der Mitbestimmung ein und wird sich auch in diesem Fall für die Möglichkeit einer Unterstellung unter das fakultative Referendum einsetzen.»