Laura Israel über Robert Frank: «Er sagte: ‹Wir werden uns verfahren, und das ist genau der Punkt›»
Viel Tee und wenig Nostalgie: Die Filmemacherin Laura Israel erzählt, wie sie den Künstler Robert Frank bei den Dreharbeiten überlisten musste und wie er zu einem berühmten Unbekannten wurde. Ihr Dokumentarfilm «Don’t Blink» ist zurzeit im Kino zu sehen.
WOZ: Laura Israel, der Fotograf und Filmemacher Robert Frank sagt von sich: «Ich hasse diese verdammten Interviews.» Wie macht man einen dialogischen Dokumentarfilm mit einem Mann, der so denkt?
Laura Israel: Man muss immer auf der Hut sein mit ihm. Ich vermute, er will einfach auf keinen Fall gekünstelt erscheinen. Deshalb mag er auch Interviews nicht, weil das eine künstliche Situation ist. Er hasst sie, weil für ihn Spontanität so extrem wichtig ist. Entweder gibt es eine echte Verbindung zu Leuten und ein richtiges Gespräch, oder er lässt es lieber sein. Das merkten wir sofort. Es half sicher, dass wir uns schon länger kennen und uns gegenseitig vertrauen. Einmal baten wir ihn, einen Rollladen ein zweites Mal hochzuziehen für die Kamera, weil wir es just verpasst hatten, diesen symbolisch perfekten Augenblick zu filmen. Stattdessen hat er dann den Rollladen ganz schnell runtergezogen. Dann haben wir halt einfach diese Szene benutzt.
Wie lange kennen Sie Robert Frank schon?
Seit den frühen achtziger Jahren. Wir machten zusammen den Clip zum Song «Run» von New Order, er als Regisseur und ich am Schneidepult. So lernten wir uns kennen. Er lebte im Greenwich Village in New York an der Bleecker Street, und mein Studio ist dort in der Nähe. Ich bin also auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag an seinem Haus vorbeigegangen, und wir sind uns oft begegnet. Weil wir beide Postkarten sammeln, habe ich ihm ab und zu eine Postkarte mit einer kurzen Nachricht in den Briefkasten gesteckt. Eine Freundschaft entstand.
War er eigentlich begeistert von der Idee, dass Sie einen Film über ihn machen wollen?
Zuerst überhaupt nicht. Und ich habe dann rasch das Thema gewechselt. Aber ich merkte, dass er mich aus dem Augenwinkel so komisch anschaute und anfing, darüber nachzudenken. «Besuch mich doch morgen wieder, dann können wir darüber reden», sagte er. Als ich ihn am nächsten Tag wieder sah, meinte er: «Komm, wir fangen gleich nächste Woche mit dem Film an.» Und das haben wir dann auch getan. Unsere Kamerafrau Lisa Rinzler lebt in New York gerade um die Ecke und hat ebenfalls einen guten Draht zu Robert.
Einen so bildversessenen Menschen selber ins Bild zu setzen, stelle ich mir nicht ganz einfach vor …
Das war nicht zuletzt deshalb schwierig, weil er sich immer sehr genau bewusst ist, dass eine Kamera läuft. Immer. Und wenn man ihm dann die Kamera auch noch direkt ins Gesicht streckt, kommt es sowieso nicht gut heraus. Deshalb hatte ich die Idee, wann immer es ging, einen seiner Freunde dazu einzuladen, sodass sie gemeinsam ein Buch anschauen konnten oder die Strassen entlangspazieren und plaudern. Damit er immer mit jemand anderem beschäftigt war anstatt direkt mit der Kamera.
Was machten Sie, wenn er beim Drehen trotzdem einen schlechten Tag hatte?
Dann haben wir Tee getrunken. Meistens half es auch, wenn wir ihm etwas zu essen brachten. Die Crew fand das zwar sicher etwas seltsam. Sie warfen sich erstaunte Blicke zu und dachten wohl, was machen wir hier eigentlich, wir sollten ihn filmen und stattdessen trinken wir Tee oder essen zu Mittag mit ihm und seiner Frau und plaudern.
Ihr Film orientiert sich mehr an seiner Kunst als an seiner Biografie.
Ja, und das ist entscheidend, um Robert zu verstehen. Denn sein Werk und sein Leben überlagern sich sowieso ständig. Alles, was ihm irgendwie wichtig ist, taucht auf die eine oder andere Art auch in seiner Kunst auf. Mir scheint, dass er seine Kunst sogar braucht, um sein Leben zu verarbeiten, seine Gefühle und seine Erlebnisse. Das ist wie eine Art Katharsis für ihn, eine seelische Reinigung.
Und «Don’t Blink» ist anders als die meisten Biopics nicht linear aufgebaut.
Auch das passt zu Robert. Er macht viele Umwege und geht auch oft wieder zurück, um sich eine Sache nochmals anzuschauen. Einmal planten wir einen Ausflug in eine Gegend, die ich überhaupt nicht kannte. Aber er verbot mir, eine Strassenkarte zu kaufen. Er sagte: «Wir werden uns verfahren, und das ist auch genau der Punkt: Let’s get lost!»
Was ebenfalls sofort auffällt, ist der spektakuläre Filmsoundtrack. Wie haben Sie es geschafft, so viele berühmte Namen einzuspannen?
Unser Musikproduzent Hal Willner kennt eine Menge Leute und hat viel herumtelefoniert. Er rief Bob Dylan an, die Rolling Stones. Uns wurde klar, dass diese Musiker deshalb so unkompliziert waren, weil alle Robert Frank irgendwie kennen. Alison Mosshart von The Kills liebt ihn. Ich durfte ihren Song sogar für den Trailer benutzen. Bei einem Jazztrack von Charles Mingus sagten mir alle Leute: «Das wirst du niemals schaffen, seine Witwe und Nachlassverwalterin Sue Mingus lässt nie jemanden seine Musik verwenden.» Doch dann haben wir herausgefunden, dass sie Charles Mingus dank Robert Frank kennengelernt hat, deshalb sagte sogar sie sofort ja. Und die Band Yo la Tengo hat mal einen Song gemacht über den Sohn und die Tochter von Robert Frank, die leider beide schon verstorben sind: «Pablo and Andrea».
Wurden Sie nie von Nostalgie übermannt beim Blick zurück auf diese wilde Zeit Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre, als Frank zuerst den revolutionären Fotoband «The Americans» herausbrachte und ein Jahr später den Experimentalfilm «Pull My Daisy» zusammen mit Beatpoeten wie Jack Kerouac und Allen Ginsberg?
Es war mir ein grosses Anliegen, dass der Film weder nostalgisch noch sentimental wirkt. Nostalgie passt nicht zu Robert. Ausserdem wollte ich auf keinen Fall zu ehrfürchtig erscheinen, im Stil von «Oh, ich mache einen Film über den grossen Robert Frank, diese Ikone …»
Nun ist er natürlich eine Ikone.
Ja, aber da ich ihn schon so lange kenne, wäre es mir gar nie in den Sinn gekommen, ihn bewundernd anzuschmachten. Als der Film bereits fertig gedreht war und ich als Vorbereitung für den Schnitt viel über ihn las, wurde mir plötzlich klar, dass er für viele eine fast übermenschliche Figur ist. Als ich dann einmal mit ihm zum Mittagessen abmachte, überkam es mich plötzlich: «Wow, ich kann gar nicht glauben, dass ich ihn persönlich kenne und jetzt mit ihm in diesem Restaurant sitze.» Zum Glück passierte mir das nicht vor den Dreharbeiten …
In der traditionellen Fotowelt herrscht allerdings viel Nostalgie und Verehrung, vor allem bezüglich Franks Durchbruchswerk «The Americans», seinem fotografischen Road Trip durch die USA der fünfziger Jahre.
O ja. Ich habe auch gehört, dass einige Leute sich darüber aufgeregt haben, dass nicht mehr über «The Americans» im Film ist, dass nicht jede einzelne Fotografie zu sehen ist und so weiter. Für mich ist diese Arbeit einfach eine Station, die zu seinen späteren Arbeiten führt, zu den verkratzten Fotografien, den Polaroids, den Videos, die mir in mancherlei Hinsicht tiefer scheinen. Film und Fotografie gehen für ihn sowieso fliessend ineinander über. Ich will damit keineswegs behaupten, dass «The Americans» nicht tief ist. Es war eine Riesenanstrengung, die er da unternommen hat. Viele Leute begreifen gar nicht, wie viele Fotografien er damals gemacht hat und wie lange er unterwegs war. Und als das Buch herauskam, gab es ja zuerst diese niederschmetternden Kritiken. Man nannte die Arbeit «unamerikanisch», was ihn sehr verletzt hat. Ich war erstaunt, dass er das bei den Interviews zum Film offen zugab.
Wenn man Franks Künstlerbiografie anschaut, hat man das Gefühl, dass er auf keinen Fall stehen bleiben wollte. Als man ihn als grossartigen Fotografen zu feiern begann, war er bereits weitergezogen, machte Experimentalfilme und fotografierte eine Weile überhaupt nicht mehr …
Er sagt selber, er wolle nicht immer und immer wieder dasselbe machen. Fotografen tendieren ja dazu, sich zu wiederholen. Er wollte nicht in diese Falle gehen, sondern sich selber zu Schwierigerem anstacheln. Nach seinem Erfolg als Fotograf schien ihm das Filmemachen genau die richtige Herausforderung. Ein Filmemacher muss sich auch mit Ton auseinandersetzen und auf die Leute zugehen, mit ihnen interagieren. Als Fotograf war er einfach unterwegs, machte Bilder und musste nicht mit den Menschen reden.
Was bei den Fotografien von «The Americans» sofort auffällt, ist Franks Affinität zu Aussenseitern: Schwarze, Arme, Transvestiten …
Wie Allen Ginsberg einmal gesagt hat: Robert betrachtet die Menschen einfach sehr intensiv. Wenn wir seine Bilder anschauen, sehen wir einen Aussenseiter, der auf uns irgendwie exotisch wirkt. Für Robert geht es aber um die Gemeinsamkeiten. Er erkennt sich in diesen gesellschaftlichen Randfiguren wieder. Ganz instinktiv. Er sagt sich nicht: «Oh, dieser arme Kerl», sondern: «Hier ist einer, der etwas mit mir gemeinsam hat.» Wenn er ein Bild von jemandem macht, porträtiert er sich damit immer auch selber.
Das führt zur paradoxen Situation, dass Frank, den viele als den «wichtigsten Fotografen des 20. Jahrhunderts» bezeichnen, sich selber konsequent als Aussenseiter sieht.
Es gibt nicht viele Leute im US-Kulturbetrieb, von denen man sagen kann, dass sie berühmte Unbekannte – oder unbekannte Berühmte sind. Frank ist einer von ihnen. Wenn ich den Leuten erzählte, was ich gerade mache, reagierten die einen mit Staunen und Begeisterung: «O mein Gott, du machst einen Film über Robert Frank! Er ist der Grösste!» Die anderen fragten: «Wer ist denn dieser Robert Frank?» Solche extrem unterschiedlichen Reaktionen kommen sonst selten vor.
Aber hat er sich diesem Status einer Berühmtheit nicht auch selber sehr bewusst widersetzt?
Schon. Ich glaube, er will einfach auf keinen Fall eine Ikone sein. Ich kann nicht für ihn sprechen. Aber man kann sicher sagen, dass Ruhm und Berühmtheit nicht gerade zuoberst auf seiner Prioritätenliste stehen (lacht).
Laura Israel
Die New Yorkerin Laura Israel (58) hat früher vor allem als Cutterin gearbeitet und unter anderem Musikclips mit Duran Duran, Lou Reed oder Patti Smith realisiert. 2010 drehte sie ihren ersten Dokumentarfilm «Windfall» über eine Gemeinde, die sich gegen ein Windenergieprojekt wehrte. Die Idee zum Film über Robert Frank gab ihr witzigerweise ein Kritiker von «Windfall».
Robert Frank : Aus dem Leben eines Eigensinnigen
Als Robert Frank 1947 der Schweiz den Rücken kehrte, war das gleichzeitig der Startschuss zu seiner Karriere als einer der wichtigsten Foto- und Filmkünstler des 20. Jahrhunderts. Zuvor hatte der 1924 in Zürich Geborene in seiner Heimatstadt eine Ausbildung als Fotograf gemacht und 1945 noch Militärdienst im Tessin geleistet. Frank erinnert sich später an die stickige Enge in der Schweiz – und an die Stimme Hitlers aus dem Radio, die ihn und seine Familie ständig daran gemahnte, dass sie sich als JüdInnen ihres Lebens nicht sicher sein konnten. Als er in New York ankam, war das ein fremder Ort, der für ihn aber augenblicklich zur Heimat wurde.
1949 kehrte Frank nach Europa und in die Schweiz zurück und fotografierte die Appenzeller Landsgemeinde in Hundwil. In diesen Bildern zeigt sich Frank bereits als Erneuerer der Fotografie. Kühne Bildausschnitte und ebenso ungemütliche wie faszinierende Nahaufnahmen innerhalb von Menschenmassen brennen sich direkt auf die Netzhaut.
Nochmals zehn Jahre später erschien der Bildband «The Americans». Dieses «traurige Gedicht, das er aus Amerika herausgesaugt hat», wie es der Beatdichter Jack Kerouac im Vorwort pathetisch formuliert, wurde zuerst heftig angefeindet. Als Franks schonungsloser Aussenseiterblick auf seine geliebte Wahlheimat in den kommenden Jahren Kultstatus erlangte, hatte Frank seine Leica schon im Schrank versorgt und zu den bewegten Bildern hinübergewechselt. «Pull My Daisy» (1959) ist das bekannteste Werk aus dieser Zeit. Diese erneute Zusammenarbeit mit Kerouac umkreist die Beatgeneration mit den Mitteln des Experimentalfilms. Der Film wirkt spontan und verspielt, war aber offenbar genau inszeniert. In späteren Jahrzehnten fotografierte Frank auch wieder – und verfremdete die Bilder oft mit Kratzern oder Texten.
Heute, knapp siebzig Jahre nach seiner Auswanderung, kehrt er mit einer Ausstellung und dem Dokumentarfilm «Don’t Blink» in die Schweiz zurück. Die Ausstellung «Robert Frank. Books and Films 1947–2014», die in der Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell zu sehen ist, entstand in enger Zusammenarbeit mit Franks Göttinger Verleger Gerd Steidl. Gezeigt werden keine kostbaren Originale, sondern Franks Bücher, mehrere seiner Filme und einige Kontaktbögen von «The Americans», die Franks Auswahlverfahren offenlegen: Insgesamt 27 000 Fotografien hatte er auf seinem Road Trip quer durch die USA gemacht, 83 schafften es ins Buch. Diese Ausstellung, die seit 2014 schon an verschiedenen Orten zu sehen war, ist vor allem ein praktisches und kostengünstiges Vehikel, mit dem der schlaue Verleger Steidl Franks Bücher und DVDs mit dessen Filmen bewirbt.
Doch das «Billige, Schnelle und Dreckige» (Frank) der Ausstellung passt auch gut zum Künstler selber, der mit einem Freund schon mal einen ganzen Stapel Originalprints von «The Americans» durchbohrt hat, um Kunstmarkt und Künstlerkult eins auszuwischen. Diese Szene ist in Franks Kurzfilm «Home Improvements» (1985) verewigt, an dem auch seine langjährige Cutterin Laura Israel beteiligt war. Israel ist die Regisseurin von «Don’t Blink», einem neuen, dichten und unkonventionell angelegten Dokumentarfilm über Robert Frank, der den mittlerweile 91-Jährigen als gelassenen und jugendlich wirkenden Greis mit viel Schalk und Charme zeigt. Archivmaterial verknüpft sich mit aktuellen Aufnahmen zum klugen und heiteren Porträt eines Eigensinnigen, der weder als Künstler noch in seinem Leben viele Kompromisse eingegangen ist. Franks einziger Ausflug in den Kommerz, der Film «Cocksucker Blues» (1972) über die Rolling Stones, wurde von Mick Jagger mit einem faktischen Aufführungsverbot belegt – aus Angst, dass die Stones nicht mehr in die USA einreisen dürften. Seit vielen Jahren verbringt Frank seine Zeit mit seiner Frau, der Künstlerin June Leaf, abwechslungsweise in New York und in einer abgelegenen lottrigen Fischerhütte an der rauen Küste von Nova Scotia in Kanada. Die Gegend erinnere ihn ein bisschen an die Schweiz, erzählt er in «Don’t Blink». Aber an eine Schweiz mit einem Meer direkt vor der Haustür.
Daniela Janser
Die Ausstellung «Robert Frank. Books and Films 1947–2014» ist noch bis am 30. Oktober 2016 in der Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell zu sehen. www.h-gebertka.ch
Der Film «Don’t Blink» (2015) läuft jetzt im Kino.