Gewaltausbruch im Südsudan: «Wer die Uniform auszieht, ist noch lange kein guter Politiker»
Fünf Jahre nach der Unabhängigkeit hängt der Frieden im Südsudan erneut an einem dünnen Faden. Dabei ist nicht einmal klar, wer die Unruhen angezettelt hat.
Eigentlich hätten die Menschen am vergangenen Wochenende feiern sollen: Vor fünf Jahren konnten sie nach einem zwanzigjährigen Sezessionskrieg die Unabhängigkeit des Südsudan bejubeln. Doch die anfängliche Euphorie war bald verflogen. Von den zwölf Millionen EinwohnerInnen leben heute knapp zwei Millionen in Flüchtlingslagern, fünf Millionen sind vom Hungertod bedroht. Nun sind am vergangenen Freitag in der Hauptstadt Juba wieder Kämpfe ausgebrochen, bei denen seither rund 300 Menschen starben. «Sie glauben gar nicht, wie enttäuscht wir sind», sagt Ajou Alic, Ökonomiestudent und Vertreter der StudentInnenvereinigung am Telefon. «Und wir sind wütend – auf alle Beteiligten.» Er befürchtet ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs. Zwar erklärte der Regierungssprecher am Wochenende, die Armee habe die Situation unter Kontrolle. «Aber viele haben Angst, durch die Stadt zu laufen», sagt Alic. «Überall ist Gefechtslärm zu hören. Nicht einmal die Kirchen sind sicher vor Angriffen.»
Just einen Tag vor dem Geburtstag des jungen Staats haben die beiden Erzrivalen, Präsident Salva Kiir und Riek Machar, sein früherer Waffenbruder und heutiger Vizepräsident, bei einer Pressekonferenz in Juba zum Frieden aufgerufen. Dann waren plötzlich Schüsse zu hören. Wie es dazu kam, ist unklar: Einige Zeugen sprechen von einem Putschversuch Machars, andere von einem Attentäter im Präsidentenpalast, wieder andere von einem Anschlag auf das Haus Machars. Beide Konfliktparteien betonen, sie seien angegriffen worden und hätten sich bloss verteidigt. Doch die Gewalt hält an, und in der Bevölkerung wächst die Angst vor einer weiteren Eskalation. «Friedensbekundungen bedeuten nicht viel», sagt Alic. «Ich traue niemandem mehr.»
Angriffe auf Uno-Camps
Schon im Dezember 2013 war im Südsudan ein Bürgerkrieg ausgebrochen – mit denselben ProtagonistInnen und unter ähnlichen Umständen: Die Regierung von Salva Kiir bezichtigte damals wie heute den Vizepräsidenten, einen Staatsstreich geplant zu haben (siehe WOZ Nr. 36/15 ). Im Lauf der Auseinandersetzungen waren rund vier Millionen SüdsudanesInnen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, drei Millionen wurden in die Flucht getrieben. Bis zu 100 000 Menschen starben – überwiegend ZivilistInnen, die Opfer von Milizen wurden, die brandschatzend durchs Land zogen. Einzig die Truppen der Uno boten Flüchtlingen in überfüllten, mässig bewachten Lagern etwas Schutz.
Doch am vergangenen Wochenende wurden selbst Uno-Camps angegriffen. Tausende Flüchtlinge sind bereits an Ugandas Grenzen gestrandet, und das Uno-Flüchtlingshilfswerk rechnet mit weiteren Vertriebenen. Während die Regierung in Kampala bereits Armeeeinheiten an die Grenze verschoben hat, um ein Überschwappen des Konflikts zu verhindern, appellieren die Uno und andere internationale Organisationen an die Verantwortlichen, unverzüglich die Waffen niederzulegen. Der Uno-Sicherheitsrat beriet am Mittwoch (nach Redaktionsschluss) allfällige Massnahmen – unter anderem die Aufstockung der rund 15 000-köpfigen Mission. «Die Uno muss beide Seiten entwaffnen», fordert Alic, «sonst hört das Morden nie auf.»
Erzwungener Frieden
Zwar liegen die unmittelbaren Gründe für die aktuelle Eskalation noch im Dunkeln. Die Hypothese eines versuchten Putsches erscheint aber wegen der Kräfteverhältnisse wenig plausibel: Den 3000 Milizangehörigen Machars stehen rund 12 000 RegierungssoldatInnen gegenüber. ExpertInnen vermuten, dass die beiden ehemaligen Warlords die Kontrolle über ihre Truppen verloren haben. Für sie steht Paul Malong, Generalstabschef der Armee und Anführer einer privaten Miliz, als Drahtzieher hinter den jüngsten Kämpfen. «Gut möglich, dass Malong die Erzfeinde gegeneinander ausspielt, um selber Präsident zu werden», vermutet auch StudentInnenvertreter Alic.
Dass das Abkommen zwischen den beiden dominanten Fraktionen ausgesprochen fragil war, ist seit langem klar: Kiir und Machar hatten bloss unter grossem internationalem Druck eine «Regierung der nationalen Einheit» gebildet und das entsprechende Abkommen unterschrieben. Im Anschluss haben es die ehemaligen Kriegsfürsten jedoch versäumt, funktionierende staatliche Strukturen als Grundlage für einen dauerhaften Frieden aufzubauen.
Mit politischem Druck und symbolischen Gesten versucht es die internationale Gemeinschaft erneut: Der Uno-Sicherheitsrat fordert ein Ende der Kämpfe, Britannien will ein Waffenembargo, die USA haben bereits einen Grossteil ihres Personals zurückgerufen, die EU ist dabei, ihre Delegation abzuziehen. Und Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon verlangt weitere Sanktionen gegen all jene, die die Umsetzung des Friedensabkommens behindern. Über einen Machtwechsel, so Ban, könne jedoch nur das Volk entscheiden.
Für Ajou Alic erscheint derzeit nur ein Weg vielversprechend: Neuwahlen. Allerdings dürften dann weder Kiir, Machar noch Malong antreten. «Wer einfach nur die Uniform auszieht, ist noch lange kein guter Politiker.» Ob in absehbarer Zeit die Voraussetzungen für faire Wahlen geschaffen werden können, ist fraglich.