Auf allen Kanälen: Mal wieder verboten
Die prokurdische Zeitung «Özgur Gündem» wurde schon 51 Mal verboten. Auch die meisten festgenommenen JournalistInnen sind KurdInnen.
Gülfem Karatas war am 16. August auf der Istanbuler Redaktion der Zeitung «Özgür Gündem», um live von deren Räumung zu berichten. Die Journalistin des prokurdischen TV-Senders IMC-TV wiederholte immer wieder ganz ruhig, dass ihr Kameramann gerade drangsaliert werde. Es war nur Karatas Stimme zu hören, zu sehen waren in zivil gekleidete Polizisten, die nach der Kamera griffen. «Nein, nein, wir sind von IMC-TV», schrie Karatas plötzlich, dann brach die Verbindung zu der Journalistin ab – sie wurden von den Beamten abgeführt.
Kurz zuvor hatte ein Gericht die prokurdische Zeitung «Özgür Gündem» bis auf weiteres verboten. Dem Blatt wird vorgeworfen, Propaganda für die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu verbreiten und deren «Sprachorgan» zu sein. Damit wurde die Zeitung zum 51. Mal verboten. Erst im März hatte das Presseamt in Ankara die Presseausweise der «Özgür Gündem»-JournalistInnen für ungültig erklärt. Die gedruckte Auflage betrug zuletzt knapp 7000 Exemplare, doch immer weniger Kioske wollten die Zeitung verkaufen. Denn der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan wird in der Zeitung als Widerstandskämpfer bezeichnet, Bese Hozat, Kovorsitzende der PKK-Dachorganisation KCK, kam schon ausgiebig zu Wort, und der Kovorsitzende der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas, forderte hier auch schon eine kurdische Autonomie. Gegen zahlreiche Journalisten und Unterstützerinnen der Zeitung läuft seit Wochen ein Verfahren wegen Terrorpropaganda.
Höhepunkt einer Repressionswelle
Gegründet 1992, steht das Blatt als Symbol für das Ringen der kurdischen Bevölkerung um die Darstellung ihrer Unterdrückung in den türkischen Medien. Immer wieder wurden Ausgaben beschlagnahmt, die Zeitung musste jahrelang unter wechselnden Namen weitergeführt werden. Nach der jetzigen Schliessung wurden 24 «Özgür Gündem»-Mitarbeiterinnen und -Sympathisanten festgenommen, darunter auch die Schriftstellerin Asli Erdogan (vgl. «Im Sumpf aus Gewalt und Folter» ). Ausserdem seien die Reisepässe von zwei Journalisten der «Özgür Gündem» für ungültig erklärt worden, sagte Özcan Kilic, der Anwalt der Zeitung, in verschiedenen türkischen Medien. Möglich ist das durch ein im Rahmen des Ausnahmezustands erlassenes Dekret, in dem festgelegt wurde, dass Pässe von Verdächtigen eingezogen werden können.
Die neusten Ereignisse sind ein weiterer Höhepunkt einer Repressionswelle gegen kurdische Medien. Nach dem gescheiterten Militärputsch von Mitte Juli wurden in der Türkei mehr als 130 Zeitungen, Radio- und Fernsehsender sowie Internetkanäle geschlossen. Nach Angaben des von JournalistInnen gegründeten türkischen Medienwatchblogs «Platform 24» wurden in den letzten Wochen 44 JournalistInnen im Rahmen der «Säuberungswelle» festgenommen (ohne die Festnahme der «Özgün Gündem»-JournalistInnen), der Europäische Journalistenverband (EJS) beziffert die momentane Gesamtzahl der türkischen JournalistInnen in Haft auf 68. Die meisten von ihnen arbeiten für kurdische Medien.
Für kurdische Medien herrscht schon seit einem Jahr «Ausnahmezustand», seit der Beendigung des Friedensprozesses mit der PKK. Im Februar etwa teilte IMC-TV mit, dass ihn der grösste türkische Satellitenbetreiber Türksat wegen Verbreitung «terroristischer Propaganda» abgeklemmt habe. Seitdem verbreitet der Sender sein Programm nur noch im Internet. Die Ausstrahlung wurde ausgerechnet dann beendet, als der Sender den ehemaligen Chefredaktor der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet», Can Dündar, zum Thema Pressefreiheit interviewte.
Mit Vergewaltigung gedroht
Die IMC-TV-Journalistin Gülfem Karatas wurde mittlerweile wieder freigelassen. Sie musste nach eigenen Aussagen sieben Stunden in Handschellen ausharren, Polizisten hätten sie geschlagen, ihre Brille kaputt gemacht, ihr mit Vergewaltigung gedroht. Der Ankara-Korrespondent der regierungsnahen Zeitung «Aksam» schrieb als Reaktion auf Karatas’ Aussagen laut «Cumhuriyet» auf sozialen Netzwerken: «Alle diese Frauen aus den Terrororganisationen behaupten danach, sie seien bei der Polizei bedroht worden, vergewaltigt zu werden. Dann schaue ich mir diese Frauen von oben nach unten an und finde keine Erklärung, wie man gerade diese vergewaltigen könnte. Entweder werden Polizisten auf sie angesetzt, die den Inhalt der eigenen Unterhose nicht im Griff haben oder blind sind, oder diejenigen, die diese Vorwürfe aufstellen, sagen nicht die Wahrheit und erzählen nur von ihren nicht erfüllten Wünschen.» Der Eintrag wurde mittlerweile gelöscht.