Konzernverantwortung: Das Ende der Freiwilligkeit
Am 11. September 2012 bricht in einer Textilfabrik in Karachi ein Feuer aus – es breitet sich rasant aus. 259 Menschen sterben, sie verbrennen oder ersticken in dem Gebäude. Die Bilder gehen um die Welt. Nun, fünf Jahre nach dem Ereignis, findet in Dortmund ein ungewöhnlicher Prozess statt: Überlebende FabrikarbeiterInnen haben die Billigkette Kik auf Schmerzensgeld verklagt. Zum Zeitpunkt des Brandes kaufte Kik der pakistanischen Textilfabrik 75 Prozent ihrer Ware ab. Mit dem Brand aber habe Kik nichts zu tun, liess sich die Sprecherin der Firma in deutschen Medien zitieren. «Dass Leute gestorben sind, ist bedauerlich. Aber wenn man bei einem Bäcker Kunde ist und dort ein Brötchen kauft, ist man auch nicht mitschuldig, wenn einen Tag später die Bäckerei abbrennt.»
So funktioniert sie, die zynische Realität des Postkolonialismus. Die Konzerne des Westens profitieren von der Misere der Drittweltländer: davon, dass korrupte Systeme die Umgehung von Umweltstandards begünstigen, dass in Fabriken miserable Bedingungen herrschen und die Produktionskosten deshalb tief sind. Davon, dass Menschen, die um ihre Existenzgrundlage kämpfen, auch unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Die Verantwortung für die Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltstandards schieben die Industrienationen in den Süden ab. Kommt es zu Klagen, gelingt es den Konzernen fast immer, sich der juristischen Verantwortung zu entziehen: Die Unternehmen aus Industrieländern lassen sich über Tochter- oder Partnerfirmen in Ländern des Globalen Südens «vertreten» – und werden dadurch zum nicht greifbaren Goliath.
Hier setzt die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) an: Sie verlangt, dass Schweizer Konzerne per se haftbar sind, sowohl für Tochterfirmen als auch für kontrollierte Unternehmen (wenn der Konzern etwa wie Kik der Hauptabnehmer eines Lieferanten ist oder starke vertragliche Anbindungen existieren). Im Klagefall müssten Schweizer Unternehmen künftig beweisen, dass sie ihren Teil der Verantwortung wahrgenommen haben (während heute die KlägerInnen den Beweis für die Mitverantwortung eines Konzerns erbringen müssen und meist scheitern). Zudem verlangt die Initiative von den Konzernen eine Sorgfaltsprüfungspflicht für ihre Auslandsaktivitäten. Die Kovi orientiert sich an den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Alle Versuche, diese mit einem konkreten Gesetz umzusetzen, scheiterten bisher. Der Bundesrat hat 2016 zwar einen Nationalen Aktionsplan zu ihrer Umsetzung publiziert. Doch dieser ist läppisch, beschränkt er sich doch auf freiwillige Massnahmen, die der Bund lediglich fördern will (etwa mit Auszeichnungen). Der Bundesrat agierte damit bislang ganz auf der Linie der Rohstoff- und Wirtschaftslobby. Diese setzte sich auch im Parlament durch, das bislang alle Vorstösse für verbindliche Gesetze ablehnte.
Die Kovi aber – über die die Bevölkerung frühestens 2019 abstimmt – stellt die Lobby vor ein zünftiges Problem: Es gibt schlicht kein ethisch vertretbares Argument gegen die Initiative. Davon zeugt auch eine erste Umfrage des «Tages-Anzeigers», die eine Zustimmung von über siebzig Prozent ergab. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse hat bereits angekündigt, die Initiative mit allen Mitteln bekämpfen zu wollen. Der Pharma- und Industrieverband Scienceindustries sowie die Migros befürworten hingegen inzwischen einen Gegenvorschlag. Einen solchen hat kürzlich auch die Rechtskommission des Ständerats verabschiedet. Der Vorschlag, über den die Schwesterkommission des Nationalrats am 11. Dezember befindet, geht zwar weniger weit als die Initiative, namentlich bei der Frage der Haftung. Dennoch ist er bemerkenswert: weil auch die Ständeratskommission vom Prinzip der Freiwilligkeit abrückt – und eine verbindliche Sorgfaltsprüfungspflicht will.
Die Luft für die Grosskonzerne wird dünner, nicht nur in der Schweiz. Sollten die FabrikarbeiterInnen von Karachi in Dortmund gewinnen: Es wäre ein Präzedenzfall, der für ganz Europa Signalwirkung hätte. Und eine klare Ansage an Unternehmen, dass hübsche «Corporate Social Responsibility»-Programme nicht ausreichen, wenn Menschen auf unsere Kosten ausgebeutet werden.