Auf allen Kanälen: Retter des Abendlands

Nr. 41 –

Die Angst vor dem Ende der männlichen weissen Vorherrschaft in Europa treibt seltsame Blüten. Eine davon konnte man an der Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises beobachten.

Michel Houellebecq an der Preisverleihung

Der Untergang der westlichen Werte wird von den Rechten seit jeher gern beschworen. Beim französischen Zeitgeistromancier Michel Houellebecq heisst er «Selbstmord Europas». Diesen ernsten Befund verkündete er letztens von einer Kanzel in Berlin, wo ihm der Frank-Schirrmacher-Preis verliehen wurde, zu Ehren des 2014 früh verstorbenen, streitbaren FAZ-Feuilletonchefs und -Herausgebers.

Houellebecq liess bei seiner aufsehenerregenden Dankesrede noch ein paar weitere Provokationen fahren, deren Botenstoffe von rechten Zeitungsredaktionen dankbar weiterverbreitet wurden. Die NZZ und die FAZ druckten gleich die ganze Rede ab. Die «Weltwoche» feierte den Schriftsteller auf dem Cover und mit einem Interview, in dem man ihm manche Bonmots aus der eigenen Rede vorlegte, die der Befragte dann mit weiteren Zitaten aus ebendieser bekräftigte. Zwischendurch fragte man ihn als Frauenversteher ab: «Ja, bei Frauen ist Liebe eine echte Kraft.»

Märtyrer und Prophet

Als flankierende Massnahme zum Interview rapportierte Roger Köppel, SVP-Chefredaktor und -Herausgeber, in den Hausmitteilungen der «Weltwoche», wen er sonst noch bei der Berliner Preisverleihung gesichtet habe: die Exbanker Konrad Hummler und Raymond Bär, Investorin Carolina Müller-Möhl, Manager Marco Solari und Martin Meyer, den pensionierten Feuilletonchef und neuen publizistischen Leiter der NZZ. Diese Liste sollte nicht weiter verwundern, sitzen doch alle Genannten in der preisverleihenden Frank-Schirrmacher-Stiftung, Martin Meyer sogar als deren Kopräsident. Die Stiftung ist offiziell just an derselben Adresse mitten in Zürich beheimatet wie das ebenfalls von Meyer geleitete Schweizerische Institut für Auslandforschung: ein prätentiöses, von allen grossen Firmen und Banken der Schweiz gesponsertes diskursives Schlachtross des Kalten Kriegs, das alljährlich eine Vortragsreihe mit älteren Männern für ältere Männer veranstaltet.

Mit Sitz in Zürich wird der Schirrmacher-Preis «für herausragende Leistungen zum Verstehen unserer Zeit» in Schweizer Franken ausbezahlt. Zum Dank gebärdete sich Houellebecq in seiner Rede in bester Jesusmanier als Märtyrer und Prophet. Zuerst sah er sich in einem selbstverliebten Traum bereits verstorben und nach seinem Ableben von der französischen Presse übel beschimpft. Dann verkündete er den eingangs erwähnten Selbstmord Europas, den er – etwas überraschend – der drohenden Abschaffung der Prostitution und der «Rückkehr des Matriarchats» zuschrieb. Und auch ein wenig der Tatsache, dass «in vielen Stadtteilen» die französischen Frauen sich nicht mehr so «sexy» kleiden wie früher und sich auch nicht mehr fortpflanzen mögen; Letzteres ganz im Gegensatz zu den MuslimInnen. Schliesslich zitierte er noch den Gedanken, dass wir uns «wieder in Gekreuzigte» verwandeln könnten, um mit dem Islam zu kämpfen. Da horchten dann sogar die wehrhaften ChristInnen auf, die sich im katholischen Internetmagazin «kath.net» leicht verwirrt fragten, ob dieser lüsterne Michel Houellebecq wider Erwarten einer von ihnen sein könnte.

Nun sind die Angst vor Potenzproblemen und die Obsession mit der Prostitution auch ein Seinsgrund von Houellebecqs gesamtem Romanwerk. Im knappen Gastkommentar zur Rede, den die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken der NZZ zukommen liess, steht alles, was es dazu zu sagen gibt: «Ein Schriftsteller macht sich zum Sprachrohr einer völlig erotikfreien, spiessbürgerlich-kapitalistisch-verdinglichenden Doppelmoral von Sex als nacktem Geschäft und Sex als Kinderzeugen.» Zum Sexismus gesellt sich, wie bei allen Rechten, eine penetrante Islamophobie.

Rechte Kühlerfigürchen

Die letzten Wochen haben Eigenartiges zutage gefördert. Aus dem helvetischen Herbstnebel steigen als rechte kulturelle Kühlerfigürchen und Verkörperungen der abendländischen Werte: der Pseudobüezer und Schwanensänger Gölä für den Boulevard und dazu, als luftiges Joint Venture zwischen NZZ und «Weltwoche», der vermeintlich ausgegrenzte Satiriker, Kolumnist und frischgebackene NZZ-Feuilletonist Andreas Thiel – sowie als Gast aus Frankreich Michel Houellebecq.

Man darf sich um dieses Abendland fürwahr ein paar Sorgen machen.