St. Galler Wahlen: Sie begeistert Bauarbeiter wie Alphornbläser
Als Einwandererkind wurde Maria Pappa lange unterschätzt. Nun hat sie für die SP einen Sitz im St. Galler Stadtrat erobert – und beendet damit die bürgerliche Dominanz.
Zwei Alphornbläser nehmen die frisch gewählte Maria Pappa in ihre Mitte, rechts davon posiert Vater Michele, links Mutter Saveria. Ein italienisch-schweizerisches Familienbild. Und eins für die Geschichtsbücher: Mit Maria Pappa und dem amtierenden Stadtrat Nino Cozzio von der CVP sitzen gleich zwei Secondos in der St. Galler Regierung. Die gesellschaftliche Realität – ein beträchtlicher Teil der Arbeit in der Ostschweiz wurde im letzten Jahrhundert von italienischen ArbeiterInnen geleistet – bildet sich nun auch in der Regierung ab. Historisch ist das Ergebnis auch, weil mit Pappas Wahl die Bürgerlichen zum ersten Mal die Mehrheit im Stadtrat verlieren. Künftig regieren zwei Mitglieder der SP, je ein Vertreter von FDP und CVP sowie ein Parteiloser. Der Erfolg hat mit der Mobilisierungskraft der Linken zu tun, vor allem aber mit der einnehmenden Persönlichkeit von Maria Pappa. Die Alphornbläser sind ein gutes Beispiel dafür: Pappa lernte sie im Wahlkampf kennen. Die beiden Männer versprachen, sie würden für sie spielen, falls sie gewinne.
Die Pappas wanderten in den sechziger Jahren aus Kalabrien ein. Maria ist heute die einzige Schweizerin in der Familie. Vor sechs Jahren erst hat sie sich einbürgern lassen. 2012 trat sie der SP bei und schaffte gleich den Sprung ins Stadtparlament. Dort nahm sie Einsitz in der Geschäftsprüfungskommission – ungewöhnlich für einen parlamentarischen Neuling. Sie las alles genau, vom Prüfungsbericht bis zur Vorlage, und stellte Fragen. Das wirkte. Und nervte die Bürgerlichen. Am vergangenen Wochenende hat das Energiebündel die amtierende Stadträtin Patrizia Adam (CVP) knapp überholt. Im ersten Wahlgang lag sie noch tausend Stimmen zurück.
Belächelt und unterschätzt
Die bürgerliche Konkurrenz hatte Maria Pappa zunächst belächelt, das Regionalblatt lag ebenfalls daneben. Ein FDP-Mann glaubte allen Ernstes, sie schreibe ihre Reden nicht selber. Wieder einmal wurde das Einwandererkind unterschätzt. Aber das stört die 45-Jährige nicht. Sie verbreitet keine politischen Visionen. Sie schaut sich die Sache genau an, ehe sie loslegt und Fakten schafft. Sie ist schnell im Kopf, ihr Mundwerk ist unverblümt, sie geht direkt auf Menschen zu. Ein Kollege beobachtete, wie sie im Strassenwahlkampf Bauarbeiter ansprach. Die wehrten erst ab. Ach, die Sozis. «Aber als sie mit ihnen geredet hatte, schienen sie so weit, SP zu wählen. Unglaublich.» Der Kollege attestiert ihr ein «unglaubliches Gespür» für Menschen.
Dienstagmorgen. An der Fassade des Tageshorts hängt ein Leintuch: «Bravo Maria!» Pappa leitet den Hort seit elf Jahren. Sie stürmt mit einer Minute Verspätung und beschlagener Brille rein. Und erzählt die Geschichte eines Italienerkindes aus den siebziger Jahren. Als sie in den Kindergarten kam, sprach Maria kein Wort Deutsch. Bei der Einschulung sollte das Kind in eine Sonderklasse, um richtig Deutsch zu lernen. Vater Michele, ein rebellischer Typ, der in den fünfziger Jahren aus der erstickenden Ordnung einer mafiösen Welt ausgebrochen war, liess es nicht zu. Wie sollte ein Ausländerkind unter anderen Ausländerkindern rasch Deutsch lernen? Nein, Maria gehörte in die Regelklasse. Und so kam es auch. «Aber solange ich in dieser Schule war, glaubte ich, ich sei dumm. Ich war eine schlechte Schülerin.» Nachdem sie das Schulhaus wechseln konnte, zählte sie zu den Klassenbesten. «Da habe ich gelernt, wie wichtig das Umfeld für Menschen ist.»
Streng wie der liebe Gott
Am Ende der Sekundarschule riet der Klassenlehrer zu einer Lehre. Pappa hörte nicht auf ihn, wählte die Handelsmittelschule, arbeitete als Buchhalterin – und langweilte sich bald. Sie wollte mit Menschen arbeiten. Sie liess sich zur Sozialpädagogin ausbilden. Auch hier suchte sie die Herausforderung: Sie arbeitete mit straffällig gewordenen Jungen und Mädchen. Pappa ist eine kleine Frau. Aber sie strahlt Autorität aus. Die grossen Jungs gehorchten ihr. Sie sagten ihr später: «Sie waren streng, aber fair.»
Wie der liebe Gott. Maria Pappa ist praktizierende Katholikin. Sie engagierte sich im Blauring, bis vor kurzem war sie im Seelsorge- und Dekanatsrat. Dass sie regelmässig in der Kirche gesichtet wird, dürfte ihr Stimmen aus dem CVP-Lager eingebracht haben.
Maria Pappa liess sich einbürgern, weil sie politisch mitgestalten wollte. Die Einbürgerungsbehörden rieten ihr in einem Brief, doch einen Deutschkurs zu besuchen. Danach hörte sie lange nichts mehr, bis ein Einzahlungsschein kam. Sie solle den Einbürgerungsbetrag fristgerecht bezahlen, ansonsten koste es Verzugszinsen. «Eine Frechheit», sagt Maria Pappa. Nun wird sie selbst Teil der Stadtbehörde. Sie wird ihre neue Aufgabe angehen, wie sie alles angeht: genau hinschauen, herausfinden, wie es funktioniert – und dann handeln. «St. Gallen», sagt sie, «hat eine ideale Grösse. Man kennt sich noch und kommt leicht ins Gespräch.» Sie sehe viele engagierte Menschen. «Da liegt ein grosses Potenzial brach, das von den Behörden zu wenig abgerufen wird.»